»Die neue Weltwirtschaft: Nicht global, sondern vernetzt«

Das 25. St. Petersburger Internationale Wirtschaftsforum 2023

Seit Jahren ist das St. Petersburger Internationale Wirtschaftsforum (SPIEF) eine feste Größe in der Welt der globalen Wirtschaft und wurde nicht zu Unrecht als das „russische Davos“ bezeichnet. Dem diesjährigen 25. Treffen schenkten jedoch die westlichen Leitmedien überwiegend kaum Aufmerksamkeit oder phantasierten sich die Nachrichten so zusammen, wie sie diese gerne hätten. Im Vergleich zum WEF-Gipfel in Davos fand im Westen im Grunde so gut wie keine Berichterstattung statt und dies trotz Delegierter aus 130 Nationen und 17.000 Teilnehmern, die sich vom 14. bis 17.06.2023 in St. Petersburg einfanden.

Sascha A. Roßmüller

Fest steht zumindest, dass angesichts 130 teilnehmender Nationen die Mär von der internationalen Isolation Russland von der Wirklichkeit widerlegt sein dürfte. Vielmehr profilieren sich Russland und China als Gegenmodell zum Westen in der Welt.

Neben den Wirtschaftsvertretern, darunter von Unternehmen aus 25 sozusagen „nicht-befreundeten“ Staaten, befanden sich unter den Regierungsrepräsentanten nicht nur Delegationen aus der Eurasischen Wirtschaftsunion oder der BRICS- und ASEAN-Staaten, sondern beispielsweise auch der ungarische Außenminister Peter Szijjarto. Die von ihrem Wirtschaftsminister angeführten Vereinigten Arabischen Emirate (VEA) genossen auf dem diesjährigen Forum einen privilegierten „Gastland“-Status. Dies hielt das „qualitätsjournalistische“ ZDF jedoch nicht davon ab, vom „Wirtschaftsforum ohne Staatsgäste“ zu schwadronieren. Nicht anders bei den Hofberichterstattern von ntv, wo ungeachtet rund 900 abgeschlossener Verträge mit einem Volumen von etwa 46 Milliarden Dollar davon halluziniert wurde, das „russische Davos lege Putins kaputte Wirtschaft offen“.

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Diplomatie in einer multipolaren Welt

Das die verschiedenen Themen-Panels umfassende Motto dieses 25. St. Petersburger Wirtschaftsforums lautete: „Souveräne Entwicklung als Grundlage für eine gerechte Welt“. Folgerichtig widmete sich auch eines der Themen der diesjährigen Agenda der „Sprache der Diplomatie in einer multipolaren Welt“.

Die Teilnehmer diskutierten in zahlreichen Panels über neue Formate der internationalen Zusammenarbeit, Export-Import-Transaktionen, den globale Wettlauf um die Vorherrschaft bei der künstlichen Intelligenz (KI) sowie in sechs bilateralen Wirtschaftsdialogen mit ausländischen Partnern aus der arabischen Welt, Indien, China, der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAEU), ASEAN, Lateinamerika und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE). Weiter umfasste das diesjährige Programm ein KMU-Forum bezüglich der Zusammenarbeit zwischen russischen und internationalen kleinen und mittleren Unternehmen, ein Forum für die Kreativwirtschaft und eine Veranstaltung mit dem Arbeitstitel „Innovationsraum“.

De-Dollarization

Ein zentrales Diskussionsforum in St. Petersburg war das De-Dollarization-Panel, im Rahmen des der Übergang vom US-Dollar zu einer grundlegend neuen Leitwährung diskutiert wurde, die von einem breiten Konsortium von Staaten kontrolliert werden könnte. Diese Debatte spiegelte wider, was im Kern sowohl der EAEU-Mitglieder als auch der BRICS-Staaten diskutiert wird.

Interessantes wurde auch seitens dem Sicherheitsbündnis SOZ verlautbart. Vergleichbar wie die BRICS-Staaten mit ihrer Neuen Entwicklungsbank (NDB) arbeitet auch die SOZ an der Schaffung einer Entwicklungsbank, die in eine offene Weltwirtschaft integrierbar, aber gegen Sanktionen geschützt sei, erläuterte SOZ-Generalsekretär, Zhang Ming, in St. Petersburg.

Wie sehr das Thema einer Unabhängigkeit von US-dominierten Finanzinstitutionen an Bedeutung gewinnt, unterstrich auch Benedict Weerasena, ein Vertreter der malaysischen Denkfabrik Bait al-Amanah, der auf den Aufstieg des ASEAN-Währungsfonds (AMF) verwies und betonte, dass regionale Gremien die Vorherrschaft des IWF bekämpfen müssten. Insbesondere Europa sollte im Zuge zunehmender Spannungen zwischen den USA und China seine Haltung gründlich bedenken, denn schließlich ist nicht Europa, sondern ist die ASEAN Chinas größter Handelspartner, was u.a. Professor Gong Jiong von der University of International Business and Economics (UIBE) auf dem Wirtschaftsforum zum Ausdruck brachte.

Der Handel Chinas speziell mit Russland stieg laut dem Wirtschaftsprofessor im letzten Jahr um 40 Prozent an und könnte bis Ende 2023 ein Volumen deutlich über 200 Milliarden Dollar erreichen, wobei fast drei Viertel in Yuan oder Rubel abgewickelt werden. Während noch Anfang vergangenen Jahres ca. 80 Prozent der russischen Handelsgeschäfte in Dollar, Euro oder anderen „unfreundlichen“ Währungen getätigt wurden, reduzierte sich dieser Anteil bis März 2023 auf nur mehr 30 Prozent.

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Chancen des Klimawandels

Anders als in Davos betrachtete man in St. Petersburg auch den Klimawandel nicht unter dem Gesichtspunkt, ihn als ausschließlich menschengemacht zu klassifizieren, um sich einzubilden, durch De-Industrialisierung die Temperaturen zu senken, sondern eruierte vielmehr sich daraus ergebende Möglichkeiten. „Der Klimawandel bietet neue Möglichkeiten für den Zugang zu den Ressourcen in der arktischen Zone, wo allein die von unserem Unternehmen bereits entdeckten Ressourcen etwa 20 Milliarden Tonnen Öläquivalent betragen“, verkündete Igor Setschin, Chef des russischen Energiekonzerns Rosneft, in seiner Grundsatzrede auf dem Energieforum.

Der Rosneft-Chef ging auch darauf ein, dass Europa aufgrund der Weigerung, russisches Gas zu kaufen, und in Ermangelung anderer Quellen für Flüssigerdgas vollständig von Energielieferungen aus den USA abhängig geworden sei. Der Versuch der Diskussion im Valdai-Format, eine geoökonomische Neuordnung begrifflich zu fassen, mündete in dem interessanten Arbeitstitel: „Die neue Weltwirtschaft: Nicht global, sondern vernetzt“.

„Russland für ernsthaften Dialog offen“

Am Freitag sprach Russlands Präsident Wladimir Putin auf dem Forum. Gemäß dem Charakter eines Wirtschaftsforums lag der Fokus der Rede auch auf dem ökonomischen Bereich. Putin thematisierte u.a. die vergleichsweise niedrige Inflation, den steigenden Außenhandel sowie Rekordzahlen beim Infrastrukturausbau. Im Agrarsektor wurde ein Wachstum von ca. zehn Prozent verzeichnet, wodurch der Eigenbedarf abzudecken und Export sicherzustellen ist. Die Einkommen der sozial Schwächsten stiegen im vergangenen Jahr um ca. 30 Prozent, weshalb 1,7 Mio. Menschen die Armutsgrenze verlassen konnten. Das nur geringe Defizit bei den Staatsfinanzen sei in vorgezogenen Ausgaben begründet, die der beschleunigten Implementierung staatlicher Programme dienten.

Die Ukraine wurde jedoch nicht völlig ausgeblendet. Interessanterweise verkündete der Plenarsitzungsmoderator des St. Petersburger Forums, Dimitri Simes Sr.: „Ich habe Putin mehrmals danach gefragt, und er hat mehrmals deutlich gemacht, dass Russland für einen ernsthaften Dialog mit jedem offen ist, auch mit Washington und anderen westlichen Mächten.“

Es wäre wünschenswert, wenn sich die maßgeblichen Akteure nun endlich am Verhandlungstisch einfänden!

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