Raisina-Dialog: Geopolitik in Bewegung

Der vom indischen Außenministerium und der Observer Research Foundation (ORF) organisierte Raisina-Dialog ist Indiens geopolitische Vorzeigekonferenz. Auch wenn die westlichen Medien dem kaum Beachtung schenken, hat diese Konferenz den westlichen Zusammenkünften, wie beispielsweise des WEF oder der Münchner Sicherheitskonferenz, einiges voraus. Besonderes Gewicht hatte der diesjährige 8. Raisina-Dialog vor allem vor dem Hintergrund des zuvor ebenfalls in Indien stattfindenden G20-Außenministertreffens. Eröffnet hat den Raisina-Dialog Indiens Premier zusammen mit Italiens Premierministerin Giorgia Meloni.

„Provokation, Ungewissheit, Turbulenz: Leuchtturm im Sturm?“

Sascha A. Roßmüller

Dem Raisina-Dialog in Neu Delhi vom 2. bis 4. März ging dieses Jahr nicht nur das G20-Außenministertreffen voraus, sondern spannenderweise ein von der internationalen Presse kaum beachtetes Treffen von Geheimdienst- und Sicherheitschefs aus mehr als zwei Dutzend Ländern. „Indien versucht, seine Präsenz zu zeigen, indem es die weltweiten Nachrichtendienste zum Austausch über Themen von gemeinsamem Interesse zusammenbringt. Im Mittelpunkt der Gespräche stand vor allem die globale Sicherheit, die unter anderem Terrorismusbekämpfung, Radikalisierung, Drogenhandel und illegalen Waffenschmuggel umfasste“, berief sich The Hindu auf eine offizielle Quelle. Geopolitisch interessant, dass die USA bei diesem Treffen nicht (!) vertreten gewesen sein sollen.

Wirtschaftliche Kooperation trotz geopolitischer Konfrontationen

Was das G20-Außenministertreffen anbelangt, kam man – wenngleich es zwar zahlreiche Übereinstimmungen gegeben hat – wie schon beim zurückliegenden Treffen der G20-Finanzminister, zu keiner gemeinsamen Abschlusserklärung, weil es keinen Konsens zum Krieg in der Ukraine gab. Seitens nicht dem westlichen Block angehörender Länder wurde bereits im Vorfeld das Bestreben kritisiert, dem ursprünglich vorwiegend wirtschafts- und finanzpolitischen G20-Forum eine gleichförmige Sicherheitsideologie umzustülpen. Mit Blick sowohl auf die Gastgeberrolle des G20-Treffens als auch des Raisina Dialogs würde sich für chinesische Kreise die Frage, inwiefern Indien eine führende Rolle einnehmen könne, anhand dessen beantworten, ob die Erörterung wirtschaftlicher Kooperation von geopolitischen Konfrontationen unbeeinträchtigt bleibe oder nicht. Indiens Premier Narendra Modi äußerte sich speziell zu dieser Frage wie folgt:

„Wir alle haben unsere Positionen und unsere Sichtweisen, wie diese Spannungen gelöst werden sollten. […] Wir sollten nicht zulassen, dass Probleme, die wir nicht gemeinsam lösen können, den Problemen, die wir lösen können, im Wege stehen.“

Weiterführende Informationen:

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Annäherung Chinas und Indiens

Am Raisina-Dialog 2023 unter dem Tagungsmotto „Provokation, Ungewissheit, Turbulenz: Leuchtturm im Sturm?“ nahmen Vertreter aus über 100 Ländern teil. Im Rahmen der die Vorträge ergänzenden zahlreichen Panels wurde sich nicht nur in Selbstbeweihräucherung einer voraussehbaren Agenda entlanggehangelt, wie man dies von den Diskussionen vergleichbarer westlicher Veranstaltungen kennt, sondern wurden durchaus kontroverse Positionen angeboten.

Was gehört nun aus europäischer Perspektive zu den relevantesten Erkenntnissen? Mit Blick auf neue Blockbildungen wäre da eine fruchtbare Annäherung Chinas und Indiens zu nennen, nachdem bezüglich des größten Hindernisses, dem Grenzstreit in Ostladakh, vielversprechende Gespräche geführt wurden. Der chinesische Außenminister Qin Gang sprach von einer schnellstmöglichen Normalisierung der Situation sowie China seine Bereitschaft erklärte, die Wiederaufnahme des Austauschs und der Zusammenarbeit mit Indien in verschiedenen Bereichen zu beschleunigen, die Direktflüge zum frühestmöglichen Zeitpunkt wieder aufzunehmen und den Austausch zwischen den Menschen zu erleichtern. Als Nachbarländer und wichtige Schwellenländer hätten China und Indien weit mehr gemeinsame Interessen als Unterschiede, sagte Qin Gang und führte weiter aus:

„Beide Seiten sollten ihre bilateralen Beziehungen vor dem Hintergrund der einmaligen Veränderungen in der Welt betrachten, die bilaterale Zusammenarbeit aus der Perspektive ihrer jeweiligen nationalen Verjüngung verstehen und Partner auf dem Weg zur Modernisierung sein“.

Regionale Lösungen für regionale Probleme

Die indische Kulturministerin Meenakshi Lekhi unterstrich die Bedeutung des Multilateralismus im Kontext der sich verändernden Geopolitik, wobei sie auf Reformen im multilateralen Rahmen abzielte. Das vorherrschende globale Szenario erfordere einen neuen Blick auf die Methode und die Art und Weise, wie Dinge geschehen sind oder nicht behandelt wurden. Der Chef der Marine, Admiral R. Hari Kumar, hob bezüglich der gegenwärtigen Herausforderungen im maritimen Bereich die Vorteile „regionaler Lösungen für regionale Probleme“ hervor.

Zweifellos lässt all dies eine Bandbreite für Interpretationen offen, dürfte jedoch nicht als uneingeschränkte Zustimmung eines erweiterten US-Einflusses im indo-pazifischen Raum zu werten sein. Auch wirtschaftspolitisch tickt man im asiatischen Raum anders als wir es vom angelsächsischen Privatisierungsextremismus kennen. Die indische Finanzministerin Nirmala Sitharaman betonte, die Regierung habe es nicht „wahnsinnig eilig“, alles zu verkaufen, und werde auch künftig über staatliche, professionell geführte Unternehmen in strategischen Sektoren verfügen. Sitharaman sprach dabei von den Bereichen Atomenergie, Raumfahrt und Verteidigung, Verkehr und Telekommunikation, Energie, Erdöl, Kohle und andere Mineralien sowie Banken, Versicherungen und Finanzdienstleistungen.

Definitionsanspruch auf Demokratie

US-Außenminister Antony Blinken ließ beim Quadrilateral Panel, das Indiens Außenminister Jaishankar mit den Amtskollegen aus USA, Australien und Japan führte, wissen, dass für die USA die Zukunft im Indopazifik liege. Foren wie diese zeichnen den Raisina Dialog aus, indem die unterschiedlichsten geopolitischen Stoßrichtungen eine Plattform erhalten, denn auch der russische Außenminister Lawrow trat in Neu Delhi als Redner auf.

Was das Verständnis von Demokratie bzw. den liberalistischen Definitionsanspruch betrifft, würde man sich beispielsweise ein Panel wie das unter dem Arbeitstitel „The Liberal Conundrum: Whose Democracy is it Anyway?“ (Das liberale Rätsel: Wem gehört die Demokratie eigentlich?)* auf westlichen Elite-Konferenzen wünschen. Vielleicht ist es aber gerade diese Debatten- und Themenvielfalt, weshalb derartige Konferenzen den westlichen Selbstbeweihräucherungs-Pendants absehbar den Rang ablaufen könnten.

*The Liberal Conundrum: Whose Democracy is it Anyway?

Weiterführende Informationen:

Weltordnung oder Pulverfass?

»Die post-hegemoniale Welt: Gerechtigkeit und Sicherheit für alle«

»Vereinigte Staaten sind die Macht der Un-Ordnung«

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