Mit Blick auf die internationale Großwetterlage erlebte die Welt mit dem G7-Treffen, dem NATO-EU-Gipfel und dem Biden/Putin-Spitzengespräch gerade eine Serie an diplomatischen Gipfeltreffen, ohne jedoch davon ausgehen zu können, dass mit diesem geopolitischen Dreisprung auch die erforderlichen Hürden genommen wurden, um die Welt ökonomisch stabiler und sicherheitspolitisch friedlicher zu machen. Vielmehr kamen überwiegend nur bestehende Konfliktlinien deutlicher zutage, ohne strukturell verfestigte Blockadenarrative aufzulösen.
Sascha A. Roßmüller
Eingeleitet wurde der Gipfeltreffen-Marathon im britischen Cornwall, wo Gastgeber Boris Johnson die G7-Vertreter ganz in Great Reset-Manier mit dem Biden-Wahlkampfslogan „Build Back Better“ begrüßte. Diese immer mehr ins Blickfeld gerückte Retro-Orientierung mag vielfach auszulegen sein, aber sicherlich nicht als eine Abkehr von der freihandelsextremistischen Globalisierungsdoktrin. Die unilaterale Absicherung dieses Missionierungsliberalismus galt es beim anschließenden NATO-EU-Gipfel festzunageln, bezüglich dem die WELT bereits im Vorfeld einen Spitzendiplomaten mit den Worten zitierte, dieses Treffen würde den Ton für das kommende Jahrzehnt setzen. Zwei Stoßrichtungen prägen die Strategie sowohl der G7 als auch der NATO: zum einen der Fokus auf Methoden der sanktionierenden Repression (G7) und einschüchternden Mobilisierung (NATO) sowie zum anderen einer transatlantischen Kompetenzanmaßung betreffend des pazifischen Raums. Russland und China werden dabei zunehmend als Feindbilder einer neuen Blockkonfrontation definiert.
US-regelbasiert oder Völkerrecht
China kritisierte diesbezüglich das Konstruieren künstlicher Konfrontationen auf Basis legitimer chinesischer Interessen und Rechte. Peking ließ auch durchklingen, dass die NATO einer „Fehleinschätzung der internationalen Situation und ihrer eigenen Rolle“ unterliege bzw. eine „Verleumdung Chinas friedlicher Entwicklung“ betreibe, was nicht anderes darstelle als eine „Fortsetzung der Mentalität des Kalten Kriegs“.

In der Abschlusserklärung des Gipfeltreffens mit US-Präsident Joe Biden und den Staats- und Regierungschefs der NATO in Brüssel findet sich bezeichnenderweise erneut die Formulierung der „regelbasierten internationalen Ordnung“ wieder, womit seit geraumer Zeit offenbar vermieden werden soll, das Völkerrecht in Betracht zu ziehen. Nach wessen Regeln gespielt werden soll, lässt sich vermuten, nachdem US-Präsident Joe Biden bereits vor seinem Treffen mit Russlands Staatschef Wladimir Putin bekannt gab, diesem seine „roten Linien“ aufzeigen zu wollen. Putin brachte das Grundproblem auf dem erst jüngst durchgeführten St. Petersburger Wirtschaftsforum analytisch auf den Punkt, indem er feststellte, dass das russisch-amerikanische Verhältnis zur Geisel der amerikanischen Innenpolitik geworden sei.
NATO lehnt Teilnahme an Moskauer Sicherheitskonferenz ab
Welche Problemlösungskompetenz unter derartigen Voraussetzungen internationalen Spitzenkonsultationen zuzuschreiben ist, beschrieb der russische Außenminister Lawrow wie folgt: „Wenn Vorherrschaftsdenken die amerikanische Haltung bestimmen wird und unsere amerikanischen Kollegen weiter ihrer eigenen Propaganda folgen, an der sich die politische Elite berauscht, dann kann man nicht allzu viel erwarten“. Wie realistisch diese Sichtweise ist, dokumentiert das aktuelle Geschehen ziemlich unmissverständlich. Schließlich betonte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg gerade, dass die NATO nicht nur eine Militärallianz sei, sondern eine politische (!) Militärallianz. Was man darunter zu verstehen darf, erklärt sich aus der NATO-Ablehnung, an der internationalen Sicherheitskonferenz in Moskau von 22. Bis 24. Juni teilzunehmen. Die Beteuerungen Stoltenbergs, den NATO-Russland-Rat wieder beleben zu wollen, verlieren dadurch jegliche Glaubwürdigkeit.
Brüssel als Handlanger im Kalten Krieg 2.0
Bezeichnend hinsichtlich des US-Sendungsbewusstseins war auch das Eingangsstatement Joe Bidens nach seinem Treffen mit Putin, in dem er unter anderem erklärte, dass die USA Produkt einer Idee sei und dessen demokratische Werte sowie universelle Rechte zu verteidigen zum Bestandteil der DNA seines Landes gehöre.

Dass es auch nach diesen drei Gipfeltreffen im Westen nichts Neues gibt sowie die EU nicht weiter als einen US-Vasallen darstellt, belegt die Ankündigung des neuen Russland-Berichts der EU durch den EU-Außenbeauftragten Josep Borrell, der auf dem kommenden EU-Gipfel am 24./25. Juni diskutiert werden soll. „Zurückdrängen, einschränken, aber gleichzeitig zusammenarbeiten“, sollen das Grundprinzip der EU-Strategie kennzeichnen. „Die Leute, die sich dieses Konzept ausgedacht haben, haben offensichtlich Probleme mit ihrem Geschichtswissen, ihrer Wahrnehmung der Realität und der Vorherrschaft von Phobien über ihre kreative Weltsicht“, diagnostizierte die Sprecherin des russischen Außenministeriums Marija Sacharowa die lebens- und weltfremde Vorstellung Brüssels und zog folgenden Vergleich zum Zwischenmenschlichen: „Können Sie sich einen Menschen vorstellen, der Beziehungen vorschlägt, die auf den Prinzipien von „abstoßen, eindämmen und interagieren“ basieren? Das können Sie nicht? Aber das ist Borrell.“ – Die EU hat ein Konstruktions-, Konzeptions- und Personaldefizit: das ist Europas größtes Problem!
Weiterführende Informationen:
DS-Magazin im Juni: »Bidens Aufmarsch«
Putins Konservative Revolution
Bidens Tiraden und Putins Humor
