Blick auf die Welt: Geopolitik im Dienst der Kulturen
Nachdem Yoshihiro Francis Fukuyamas berühmte Prophezeiung eines Endes der Geschichte nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Ostblocks doch nicht seine unipolare Verwirklichung fand, gerät die vorherrschende, jedoch zunehmend in Unordnung geratende Weltordnung nicht allein in eine Legitimationskrise, sondern mehr und mehr in direkte Konfrontation mit neuen geopolitischen Konstellationen und internationalen Institutionen.
Sascha A. Roßmüller
Ob es der US-Hegemonie mit ihren Instrumenten – neben Weltbank und Internationaler Währungsfonds allen voran der NATO – sowie ihren Brüsseler EU-Vasallen gelingen wird, repressiv ihren Status Quo aufrecht zu erhalten oder ein internationales System entsteht, das die multipolaren Realitäten angemessen abbildet, ist gegenwärtig schwer abschließend zu beurteilen. Allerdings dürfte weitgehend unbestritten sein, dass Ersteres in nahezu jedem Falle konfliktträchtig einzustufen ist, und Letzteres diesbezüglich stark vom Verhalten der jeweilig relevanten Akteure abhängig ist.
Weltordnung der Wertesysteme
Ein globaler Universalanspruch derjenigen Großmacht, die für ein Gros der internationalen Konflikte wesentlich verantwortlich ist, darf allerdings zurecht als traurige Satire der Geschichte angesehen werden. Die NATO spiegelt immer weniger die Vorstellung eines Sicherheitsbündnisses wider, seit diese nach dem Ende des Warschauer Pakts eine zumeist als aggressiv zu bezeichnende Ostexpansion an den Tag legte und immer noch legt. Nicht zuletzt als Antwort hierauf entwickelte sich die Shanghai Cooperation Organisation (SCO) zu einem funktionstüchtigen zentralasiatischen Sicherheitsformat. Der Nahe und Mittlere Osten entbehren bislang jedoch einem diesbezüglichen regionalen Pendant. Eines dürfte inzwischen nicht mehr ernsthaft zu leugnen sein: Institutionelle Kompetenzen und multilaterale Kooperationen müssen den kulturellen Identitäten und unterschiedlichen Wertesystemen Rechnung tragen anstatt Ausdruck einseitig imperialer Dominanz zu sein. Die Vision einer künftig funktionsfähigen Weltordnung – die diesen Namen auch verdient – sollte eine wechselseitige Abstimmung intern autonomer, regionaler Großraumordnungen ohne Einmischung in die interne Sphäre des jeweils anderen sein, und eben keine Gleichschaltung nach einem universal gültigen Modell.
Absage an Globalisierungsmodell
Dies bedeutet allerdings eine Absage an das Globalisierungsmodell heutiger Prägung, das mittels eines regelrechten Freihandelsextremismus in Verbindung mit Marktprivilegien das Instrument von Konditionalitäten gegenüber Zielräumen in Stellung bringt, um seine normative Expansion zu verfolgen. Dieses liberalistische Globalisierungsmodell ist dabei in seinem arroganten bzw. kulturignoranten Sendungsbewusstsein nicht weniger imperialistisch/missionarisch als der radikale Islam, denn es duldet ebenfalls keine strukturellen Antipoden.
Historisch gesehen hinterließ das Ende der bipolaren Nachkriegsordnung nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion lediglich ein transatlantisches Übergewicht, führte aber zu keinem globalen Gleichgewicht. Die Polarisierung zwischen den seither sich ausprägenden anti-imperialistischen Fliehkräften und den Kräften des sogenannten „Great Reset“ in Washington zeugt zunehmend geopolitische Konfliktlinien, deren Gefahrenpotenzial nicht unterschätzt werden sollte. Vielfach erleben wir über den sogenannten Kalten Krieg2.0 hinausgehende bereits „heiße“ geopolitische Stellvertreterkriege, zumeist im Nahen Osten, aber auch in anderen Regionen, wie beispielsweise der Ost-Ukraine oder im Südkaukasus.
Der militärische Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Region Bergkarabach zeigt auf, dass neben den Großmächten USA, China und Russland auch die Türkei ihre geopolitischen Ambitionen hegt. Nicht anders ist auch das türkische Agieren mit Blick auf Nordsyrien zu werten. Überdies in beiden Fällen angefeuert durch historische ethnische Ressentiments zwischen Türken und Kurden bzw. Armeniern. Besondere Brisanz bergen besagte Problemregionen, indem die um ihren Einflussbereich ringenden involvierenden Fremdmächte unterschiedlichen internationalen Militärbündnissen angehören.
Weit mehr als nur Handelskonflikt
Nicht nur befleißigt sich die neue US-Administration unter dem Duo Infernale Joe Biden und Kamala Harris in Washington einer deutlich aggressiveren Artikulation, sowohl gegenüber Russland als auch China sowie dem Iran. Ebenso nehmen die aktuellsten Strategiepapiere der einschlägigen transatlantischen Think Tanks an Schärfe zu, wenngleich auch nicht gerade an intellektueller Schärfe. Als aktuellstes Beispiel hierfür ist das neueste Regime-Change-Papier „Russia After Putin – How to Rebuild the State“ des „Antlantic Council“ vom 24. Februar dieses Jahres anzuführen.
Keiner der in den letzten Jahren entzündeten Krisenherde wurde inzwischen entschärft, ob im ostukrainischen Donezk oder Luhansk, ob in Libyen oder im Jemen, das als Ersatzschlachtfeld zwischen dem US-Verbündeten Saudi-Arabien und dem Iran betrachtet werden kann, und ebenso wenig ist der Syrienkonflikt gelöst, wo US-Präsident Biden erst einen Luftschlag durchführen ließ. Hinzu kommt, dass die Spannungen zwischen den USA und dem inzwischen unbestritten zur globalen Großmacht avancierten China immer stärker werden. Laut der „South China Sea Strategic Situation Probing Initiative“ (SCSPI) entsandten die USA im vergangenen Jahr Flugzeugträgerkampfgruppen, amphibische Angriffsschiffe (ARG), U-Boote mit Nuklearantrieb sowie B-52H- und B-1B-Bomber ins Südchinesische Meer und führten im Juli 2020 zweimal innerhalb eines halben Monats Übungen mit zwei Flugzeugträgergruppen durch. Nahezu tausend Mal schickten die USA mehrere Arten von Spionageflugzeugen über das Südchinesische Meer. Dies geht unzweifelhaft weit über einen bloßen Handelskonflikt hinaus.
Von hydraulischer Denkweise verabschieden
Die Zeichen mehren sich, dass die geopolitischen Interessenskonflikte verstärkt unversöhnlich aufeinanderprallen. Legt man zugrunde, dass die Völker – nicht zuletzt die demographisch bedrohten autochthon-diversen europäischen Völker – sich ihrer Freiheit, und zwar auch im kollektiven Sinne, sprich ihrem wertkonservativ-traditionellen Entwicklungskontinuum, erfreuen können sollen, ohne Fremdbestimmung – sei es unter einer globalimperialen Pax Americana oder einer Pax Sinica – dann sollte sich die Geopolitik von der vorherrschenden hydraulischen Denkweise verabschieden, die den eigenen Erfolg stets nur im Zusammenhang mit dem Misserfolg des Konkurrenten zu definieren in der Lage ist. Geopolitik, will sie nachhaltig-zukunftsfähig sein, sollte vorrangig unter der Fragestellung diskutiert werden, ob sie ein Mittel im Kampf der Kulturen oder im Dienste der Kulturen sein will. Wahrer Nationalismus spricht sich für Letzteres aus, indem ein Leitbild identitär definierter Kulturgroßräume auf ethnisch selbstbestimmter Grundlage verfolgt wird.
Weiterführende Informationen:
Aktueller und notwendiger denn je: Raus aus der NATO!
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Mai-Ausgabe der DS: »Russland und Deutschland – statt NATO und Kriegstreiberei!«
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