Worum geht es beim politischen Aktivismus? Die 10-80-10-Regel gibt darüber Aufschluss. 10 % der Gesellschaft tragen das politische System, 80 % laufen mit, 10 % bekämpfen es – aktiv oder passiv. Das heißt auch: 80 % der Menschen sind und bleiben unpolitisch, egal, wie viel ein System in die Politisierung investiert. Historische Beispiele belegen dies.
Gastbeitrag von Sascha von Aichfriede
Die 10-80-10-Regel stammt ursprünglich von einem American-Football-Manager1. Er sagte, dass die Leistung der Mannschaft im Wesentlichen von Top-Spielern bestimmt wird, die etwa 10 % des Kaders ausmachen. Die anderen 80 % entsprechen den Mindeststandards, die restlichen 10 % sind Problemtypen, die die Mannschaft herunterziehen. Ähnlich denken Kriminologen: 10 % der Menschen werden auf keinen Fall straffällig, 10 % werden ganz sicher straffällig – und bei den restlichen 80 % kommt es auf die Umstände an. Für die Regierung und die Politik ergeben sich daraus bestimmte Handlungsempfehlungen: Fokussieren auf die 10 % notorischen Straftäter und diese vom Rest isolieren und bei den restlichen 80 % ein Milieu erzeugen, in dem sich Straftaten nicht auszahlen, weil die Risiken höher als der Nutzen bleiben.
Weiterführende Informationen:
Scholz holt sich in den USA neue Befehle ab
Energiewende: vorsätzliche De-Industrialisierung Deutschlands?
Historische Erfahrung im Dritten Reich
10 % der Bevölkerung werden immer gegen eine politische Ideologie oder Ausrichtung sein (Überzeugungsgegner); die anderen 10 % werden sich für sie begeistern lassen (Überzeugungstäter). Den restlichen 80 % muss man ein Angebot machen. So war es zum Beispiel auch bei der NSDAP: Solange sie mit Überzeugungsthemen arbeitete, wie der Kampf gegen Versailles oder der Antisemitismus, konnte sie vielleicht 5–10 % der Wähler begeistern. Das waren Themen, deren unmittelbarer Vorteil für Sicherheit und Wohlstand abstrakt sind. Der Großteil des Wählerzuspruchs ab 1929 war an ihre Zusage gebunden, die Wirtschaftskrise zu bewältigen. Und als sie an der Macht war, da erhielten auch die besagten 10 % das System.
Dies wurde bestätigt durch Ermittlungen der US-Armee darüber, was den Zusammenhalt der deutschen Armee ausmachte, obwohl der Kampf spätestens seit Stalingrad verloren war. Das Ergebnis: Ein harter Kern von 10-15 % überzeugten Nationalsozialisten zog den Rest bis zum Schluss mit. Bei der Entnazifizierung nach dem Krieg das gleiche Ergebnis: Etwa 80 % galten als Mitläufer (oder Verfahrenseinstellungen), dagegen eine kleine Gruppe an Belasteten und Entlasteten. Auch die Kommunisten kannten dieses Prinzip und entwickelten daraus das Konzept einer proletarischen Avantgarde. Aber selbst in der durchideologisierten DDR-Gesellschaft war es am Ende nur eine SED-Funktionselite von 10 %, die das System trug. Die restlichen 80 % entschieden sich 1989 geschlossen um, als offensichtlich war, dass das System nicht mehr ablieferte. Und so fiel das SED-Kartenhaus rasch in sich zusammen. In anderen kollabierenden Staaten des Sozialismus war es nicht anders.
Weiterführende Informationen:
Post an die DS: Wie konnte Adolf Hitler an die Macht kommen?
»Vereinigte Staaten sind die Macht der Un-Ordnung«
Grüne an der Macht: Von Größenwahn und Symbolpolitik
Lehren für die politische Aktivität
Aus der 10-80-10-Regel lassen sich Lehren für den politischen Aktivismus ziehen:
- 80 % der Menschen sind und bleiben unpolitisch – ihre Treue zum System hängt davon ab, ob ihr Alltag und ihr kleines privates Glück in diesem funktionieren. Zusammenhänge zwischen ihrem persönlichen Wohlbefinden und abstrakten Bedrohungen wie einer Weltverschwörung oder einem Klimafegefeuer, erkennen diese Menschen nicht.
- Der politische Aktivist sollte nur minimale Energie auf die Bekehrung der Gegner (die anderen 10 %) verschwenden – deren Identität und Existenz hängt von ihrer Ideologie oder Systemtreue ab. Diese Leute muss man von den unentschiedenen 80 % trennen, sie diskreditieren und ihre Glaubwürdigkeit erschüttern.
- Der politische Kampf findet daher um die 80 % der unpolitischen Neutralen statt. Ihre Unterstützung oder Duldung ist anzustreben.
- Es darf sich auch keiner der Illusion hingeben, diese 80 % vollends politisieren zu können. Dies ist höchstens in Krisenzeiten möglich und auch in diesen nur zum Zweck der Beendigung dieses Zustands.
1 https://projektmanagement24.de/10-80-10-regel#:~:text=Die%2010%2D80%2D10%20Regel,%25%20Neutrale%20und%2010%25%20Gegner (Aufruf: 05.04.2023).
