Interview mit Sascha Roßmüller zur europäischen Energie- und Klimapolitik
„Man kann sich teilweise des Eindrucks nicht erwehren, als ginge es bei der linksgrünen Klima-Agenda nicht um die Energiewende, sondern um die vorsätzliche De-Industrialisierung Deutschlands.“
Das Interview führte Alexander Markovics.
Welche Änderungen finden gegenwärtig im europäischen Energiemarkt wegen der neuen Umweltpolitik statt (Stichwort “Grüne Energie”) und wie werden diese die Schlüsselsektoren und Akteure der Wirtschaft in Europa beeinflussen?
Als Erstes möchte ich hier auf ein grundlegendes Problem hinweisen, und zwar die Verweigerung der verantwortlichen Akteure, die Energiepolitik einer ganzheitlichen, sämtliche Lebensbereiche umfassenden Sichtweise zu unterziehen, und in ideologischem, ja quasireligiösem Starrsinn lediglich auf eine dogmatische Klima-Scholastik zu verengen.
Mit dem Europäischen Klima- und Energierahmen 2030 und den Legislativpaketen zur Energieunion (acht EU-Richtlinien und -Verordnungen) – dem sog. „Green Deal“ – soll Europa – bis 2050 – zum ersten klimaneutralen Kontinent werden. Auf dem Weg zur EU-Treibhausgasneutralität bis 2050 sollen die EU-internen Treibhausgasemissionen bis 2030 netto um mindestens 55 % – anvisiert sind sogar 65 % – gegenüber 1990 reduziert werden. Überdies wird auf eine stärkere Integration des Energiemarktes abgezielt. Die Energiewende der Bundesregierung sieht vor, dass bis 2045 eine sogenannte Klimaneutralität erreicht wird.
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Ein Kardinalfehler ist aus verschiedenen konventionellen Energieerzeugungen gleichzeitig auszusteigen, wodurch bspw. Deutschland etwa 50 GW gesicherte und regelbare Leistung verloren geht, aber für deren Substitution den Fokus fast ausschließlich auf nicht grundlastfähige Sonnen- und Windenergie zu legen. Die Geothermie, welche grundlastfähig wäre, gerät völlig in den Hintergrund, und teilweise demonstrieren „Grüne“ auch gegen Pumpspeicherkraftwerke. Neben den Defiziten betreffend Speicherkapazitäten ist es aber vor allem sträflich, Gas als Brücke auf den Weg zu einer Energiewende vernachlässigt zu haben, da auch Gas als zumindest CO2-ärmerer Energieträger den linksgrünen CO2-Puristen ebenso wenig ins Weltbild passt. Auch die Deutsche Energieagentur (DENA) bemängelte in ihrem Zwischenbericht zur 2018er-Leitstudie zu den Energie- und Klimazielen, dass zwischen 2015 und 2018 trotz verbesserter Marktlage keine Gaskraftwerke in Betrieb genommen wurden. Im Übrigen kann man auch Gaskraftwerke bauen, die später auf Wasserstoff umzustellen wären.
Die Frage sicherer Energieversorgung und des Energiepreises betrifft natürlich sämtliche Sektoren und Branchen der Wirtschaft, und erst kürzlich warnte bspw. RWE-Chef Markus Krebber vor einer schleichende Deindustrialisierung. Bereits heute würden Industrieunternehmen ihre Produktion drosseln, um Stromangebot- und -nachfrage in der Balance zu halten. Bei klassischen Autoherstellern und Zulieferern vor allem für den Verbrennungsmotor werden bis 2030 wegen des Wandels zur E-Mobilität erheblich weniger Arbeitskräfte benötigt. Einige Untersuchungen sprechen dabei von rund 180.000 Arbeitsplätzen in Deutschland. Hinzukommen natürlich die Arbeitsplätze, die durch den Ausstieg aus der konventionellen Energieerzeugung verloren gehen.
Welche Risiken bestehen hinsichtlich der Implementierung des New Green Deals für die EU und sind die EU-Staaten darauf vorbereitet? Ist es möglich die notwendige Infrastruktur für die gesetzten Emissionsziele zur Verfügung zu stellen?
Als (noch) Industriestandort allzu kurzfristig und zudem gleichzeitig aus jeglicher konventionellen Energieerzeugung auszusteigen, obwohl man sich doch globalisierungsfanatisch dem Wettbewerb mit der ganzen Welt verschrieben hat, und überdies mit Blick auf die Elektromobilität den künftigen Strombedarf massiv zu erhöhen, sollte – gelinde gesagt – wohl überlegt sein. Insbesondere fehlt es an der Speicherkapazität, alle Speicher in der Bundesrepublik, dazu gehören auch die Pumpspeicherkraftwerke, würden im Falle eines Blackouts nur 40 Minuten bis maximal eine Stunde Strom liefern, dann wäre das sprichwörtliche Licht aus. Dies zeigt deutlich, dass man nicht ausreichend auf die potenziell bestehenden Risiken vorbereitet ist.
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Zu lange Genehmigungsverfahren blockieren einen erforderlichen Netzausbau sowie von der sog. Sektorkopplung mehr geredet als sie systemisch umgesetzt wird. Vergessen wir nicht, welch enorme Menge neben der Mobilität an Energie für das Heizen benötigt wird. Zu den Emissionszielen an sich sei festgehalten, dass je nach Reinheit der Rohstoffe und Produktionsmethode hinsichtlich der für die E-Mobilität erforderlichen Erze werden mehr oder weniger große Mengen an Schwefeldioxid, Schwefelsäure mit Nebenprodukten wie Arsen, Fluor oder Chlorid und auch CO2 (!!) ausgestoßen, ganz zu schweigen vom Wasserverbrauch beim Lithium-Abbau. An der Umweltfreundlichkeit dürfen somit begründete Zweifel angebracht werden.
Worin besteht gegenwärtig die bestmögliche Praxis hinsichtlich der Nutzung grüner oder alternativer Energiequellen?
Wie vorab festgestellt, sicherlich nicht hinsichtlich der E-Mobilität. Denn dank dem Trend zur E-Mobilität haben vor allem die Metalle Lithium und Kobalt in den vergangenen Jahren enorm an wirtschaftlicher Bedeutung gewonnen, weshalb diese mittelfristig nicht nur knapp werden, sondern deren Preise durch die Decke schießen. Hinzu kommen noch Graphit und Nickel, die ebenfalls in großen Mengen in den Akkus verarbeitet oder verbraucht werden. Auch dabei handelt es sich nicht um „nachwachsende“ Rohstoffe. Es ist damit zu rechnen, dass – gemessen an den politischen Vorgaben – im Jahr 2030 für die viel gepriesene Elektromobilität zusätzlich 260.000 Tonnen Kobalt, 160.000 Tonnen Lithium, 830.000 Tonnen Nickel und 1,4 Millionen Tonnen Graphit benötigt werden.
Gegenwärtig sehe ich kaum eine Praxis, die das Prädikat „bestmöglich“ verdienen würde, allerdings stehe ich grundsätzlich Entwicklungen im Bereich erneuerbarer Energien äußerst positiv gegenüber, so diese tatsächlich ökologisch umgesetzt werden, sowie mit Blick auf eine Herangehensweise, die eine Dezentralisierung der Versorgungsstruktur anvisiert, wodurch zum einen Abhängigkeiten minimiert und womit zum anderen Möglichkeiten genossenschaftlich und/oder kommunaler Eigentumsstrukturen umzusetzen wären, um den Energiesektor etwas der privatkapitalistischen Struktur zu entreißen, so dieser programmatisch/ideologische Einschub zum Thema gestattet ist.
Ich halte auch das Thema Wasserstoff interessant, der im Prinzip für jede Form der Energieverwendung genutzt werden kann: als Heizgas, als Kraftstoff für Verbrennungsmotoren oder in Brennstoffzellen. Überdies ließe sich mit Kohlendioxid aus Wasserstoff treibstofftaugliches Methanol herstellen. Doch sollten sich unsere Fragestellungen nicht in die verengten Denkschemata des „grünen“ Establishments zwingen lassen, weshalb ich mir, etwas abweichend von der Frage, die Freiheit nehme, auf einen andersgelagerten Forschungsaspekt hinzuweisen.
Mehr als nur verwunderlich ist in meinen Augen, dass seitens der „Klimaschützergemeinde“ nichts über den am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) in Betrieb gegangen Prototyp einer Power-to-Liquid-Anlage zu vernehmen ist, die in vier Schritten Kraftstoff aus Wasser, Ökostrom und sogar aus Kohlendioxid (!) produziert. Man bräuchte die Arbeitsplätze aus der Kohleindustrie, immerhin im fünfstelligen Bereich, nicht Knall auf Fall aufs Spiel setzen. Je nach Prozessanwendung des von einem Dresdner Unternehmen entwickelten Verfahrens entstehen Benzin, Diesel oder Kerosin, somit würde sogar klimaverträgliches Fliegen ermöglicht. Man kann sich teilweise des Eindrucks nicht erwehren, als ginge es bei der linksgrünen Klima-Agenda nicht um die Energiewende, sondern um die vorsätzliche De-Industrialisierung Deutschlands.
Die Kernenergie hat das Potenzial dazu eine stabile Energieversorgung herzustellen und wird von vielen Ländern wie Frankreich aktiv verwendet, das zur Zeit eines der führenden Länder in der Errichtung neuer Atomkraftwerke ist. Welche Unterschiede bestehen in der Gefahrenevaluierung sowie im Potenzial der Kernenergie zwischen West- und Osteuropa?
Bezüglich der angesprochen „West-/Ost-Gefahrenevaluierung“ muss ich gestehen, hier in letzter Zeit nicht aktuell fortlaufend recherchiert zu haben, aber vermutlich dürfen technologische Qualitätsunterschiede vorwiegend betreffend älterer Reaktoren anzunehmen sein, jedoch hinsichtlich moderner Anwendungskapazitäten wird – wie in vielen Bereichen – Osteuropa dem Westen kaum nachstehen. Im Bereich Atomenergie zeichnen sich gewisse Innovationen ab, die genau zu verfolgen sein werden, um diese energiepolitisch zu bewerten.
Vorab bemerkt, ich war – für weite Teile meines politischen Lagers untypisch – nie ein Freund der Atomenergie. Ökologisch störte ich mich neben dem Wasserverbrauch an den Folgeschäden des Uranabbaus und ökonomisch an der Importabhängigkeit beim Uran, hauptsächlich jedoch ist für meine Haltung zur Atomenergie eine vernünftige, verantwortungsvolle Lösung der Endlagerfrage entscheidend. Man möge auch nicht überschätzen, welche Bedeutung die Atomenergie mittlerweile noch hat. Laut eines Berichts in der FAZ vom Februar 2021 ist der Anteil an der Stromerzeugung mittels Atomenergie auf der Welt seit Mitte der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts deutlich gefallen und macht derzeit nur noch rund zehn Prozent aus.
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Abgesehen von Frankreich ist jedoch zugegeben interessant, dass – nicht zuletzt aufgrund gewisser Innovationen (u.a. flexiblere Small Modular Reactors) – bspw. in Finnland sich sogar weite Teile der finnischen Grünen für eine energiepolitische Technologieoffenheit, auch mit Blich auf die Nutzung von Atomenergie aussprachen. Inwiefern auf Atomenergie – unabhängig der diesbezüglich weiteren technologischen Entwicklung – zurückgegriffen werden sollte, wird wohl auch damit zusammenhängen, welche Entscheidung mit Blick auf andere in diesem Interview geführte Aspekte getroffen werden.
Was ich bei der Energiedebatte hauptsächlich vermisse, ist, dass über die Erzeugung hinaus m. E. zu wenig über Wirkungsgrade bzw. technologische F&E zur Reduzierung des Energieverbrauchs gesprochen wird. Zum Beispiel würde ein Verbrennungsmotor eines Ein-Liter-Autos einen Vergleich mit den Kollateralschäden der E-Mobilität Stand halten können.
Was sind die Vorteile die sich aus Nord Stream 2 für Europa und Russland ergeben und worin bestehen die Herausforderungen, die sich gegenwärtig für das Projekt stellen?
Der Vorteil für Europa bestünde in einer sicheren Gasversorgung, die deutlich billiger ist als das US-Flüssiggas mit seiner schlechten Energiebilanz, wofür überdies erst die Anlandeterminals zu schaffen waren/sind. Da LNG-Importe im Großen und Ganzen teurer sind als Pipeline-Importe aus Russland, ließe die Nutzung von ‚Nord Stream 2‘ somit einen preisdämpfenden Effekt auf den europäischen Gasmarkt erwarten. Für Russland besteht natürlich der Vorteil in der Generierung von Staatseinnahmen, da Gazprom ein Staatsbetrieb ist. Obwohl die Ostseepipeline Nord Stream 2 längst Gas aus Russland nach Deutschland leiten könnte, wird allerdings die Genehmigung nicht erteilt. Der Grund liegt daran, dass im Falle von Gazprom der Pipeline-Betreiber und der Gas-Lieferant identisch sind und dies nicht dem EU-Energierecht entspricht. Zudem ist ein enormer Druck aus Washington unübersehbar.
Man muss wissen, dass die USA seit jeher bestrebt sind, Europa von russischen Gaslieferungen zu trennen, um den europäischen Markt selbst mit seinem Fracking-Gas zu beliefern, wobei sich die EU als willfähriger Vasall erweist. Bereits das South Stream-Projekt einer Pipeline durch das Schwarze Meer nach Südosteuropa scheiterte am sog. Dritten EU-Energiepaket. Bezeichnenderweise gab im Februar 2018 der damalige US-Außenminister Rex Tillerson an der Universität in Austin bekannt, dass das Weiße Haus die USA im Jahr 2040 als den wichtigsten Erzeuger von Erdöl und Erdgas auf der Welt sieht. In Europa halluzinieren Uncle Sam und seine Brüsseler Lautsprecher das Schreckgespenst einer Energieabhängigkeit von Russland herbei.
Was speziell Deutschland betrifft: Seit den 1990er-Jahren haben sich die Gasimporte nach Deutschland verdoppelt. Lag der Anteil russischen Gases bereits in den 1990er-Jahren bei 50 Prozent, was auch als Ausweis von Zuverlässigkeit gelesen werden kann, so sank dieser Anteil 2016 auf zwischenzeitlich 35 Prozent ab, um dann wieder anzusteigen. Zwar lieferte Russland heute mengenmäßig mehr Gas als damals, aber andere Länder haben ihren Anteil erhöht, wie bspw. die Niederlande ihre Lieferungen verdoppelten oder Norwegen, das heute sogar viermal mehr Gas nach Deutschland liefert als Anfang der 1990er-Jahre.
Dieses Auf und Ab der Zahlen zeigt vor allem, dass der Gasmarkt von einer großen Dynamik geprägt ist und von einer einseitigen Abhängigkeit nicht zu sprechen ist. Darüber hinaus beschränkt sich die Energiefrage ja nicht allein auf Gas. 2017 betrug nach einer Untersuchung der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen der Gasanteil am gesamten deutschen Primärenergieverbrauch 24 Prozent. Knapp 13 Prozent des deutschen Energiebedarfs wird durch russisches Erdgas gedeckt.
An die Adresse der „Grünen“, die dem Projekt ablehnend gegenüberstehen: Etwa 50 Prozent der amerikanischen Gasförderung erfolgen durch Fracking, dessen Methode nicht allein die unmittelbare Natur in den Fördergebieten in Mitleidenschaft zieht, sondern auch die Atmosphäre schädigt, indem dabei große Mengen an Methan austreten, das sehr viel klimaschädlicher ist als etwa das bekannte Treibhausgas Kohlendioxid.