Die Bundesregierung plant vor Rügens Küste die Errichtung eines weiteren LNG-Terminals. Dagegen formiert sich breiter Widerstand.
Lutz Dessau
Baedekers Handbuch für Reisende pries in seiner Ausgabe von 1899 auch die Reize von Deutschlands größter Insel: »Die landschaftlichen Schönheiten Rügens sind fast ausschließlich auf der Ostküste der Insel zu suchen, wo die prächtigen Buchenwälder, die zum Teil steil abfallenden Ufer und die Ausblicke auf das blaue Meer einen eigentümlichen Reiz haben.«
Rund 120 Jahre später braut sich über dem Idyll eine tiefschwarze Wolkenfront zusammen. Die Bundesregierung beabsichtigt vor Rügen den Bau eines weiteren LNG-Terminals in M-V, nachdem im Januar in Lubmin am Greifswalder Bodden bereits eine Flüssiggasendstelle an den Start gegangen war. Jetzt also Rügen. Im März bestätigte ein Sprecher des Energiekonzerns RWE entsprechende Erkundungsarbeiten, die vom Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Ostsee genehmigt worden seien. Auch erwarb der Bund nicht verbaute Röhren der deutsch-russischen Erdgas-Pipeline Nord Stream 2 für das LNG-Terminal.
Doch sehen sich Scholz, Habeck und Konsorten einer breiten Widerstandsfront gegenüber: Bürgermeister, Umweltschützer, Gemeindevertreter, Einwohner und Touristen kämpfen für den Erhalt der Oase. Der Kreistag hat ein LNG-Terminal – egal, an welcher Stelle – per Beschluss abgelehnt. Rügens Landrat Dr. Stefan Kerth (SPD) kritisierte in einer am 21. März veröffentlichten Stellungnahme die mangelnde Transparenz. Kerth wörtlich: »Es ist nicht zuviel verlangt, dass ein Bundesministerium bei einem derart sensiblen Vorhaben Kontakt zum betroffenen Landkreis und zu den Gemeinden aufnimmt.«
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Gemeinde Binz erwägt gegebenenfalls den Klageweg
Bei einem am 20. April durchgeführten Vororttreffen (siehe Update) verteidigte Kanzler Scholz die Pläne, vor Mukran ein LNG-Terminal zu errichten. Es gehe »um Versorgungssicherheit für den Osten Deutschlands«; die derzeitigen LNG-Strukturen an der Nordseeküste und Einfuhren über westeuropäische Häfen reichten nicht. Für den Fall, dass die Entscheidung tatsächlich fällt, erwägt das Ostseebad Binz als am meisten betroffene Gemeinde den Klageweg.
Scholz‘ Wirtschaftsminister Habeck hat übrigens allen Grund, auch in Bezug auf die LNG-Thematik kleinlaut zu sein. So behauptete er im April 2022, LNG sei eine »Übergangslösung«. Doch wie das Netzportal NachDenkSeiten bereits im November mit Verweis auf Unterlagen des Haushaltsausschusses mitteilte, mussten die jetzt erworbenen Terminals für 15 (statt für zehn) Jahre gechartert werden. Kritiker bemängeln auch die Dauer der mit US-Flüssiggas-Anbietern ausgehandelten Kontrakte.
Dass es sich dabei um keine »Verschwörungstheorie« handelt, zeigt das Beispiel des Karlsruher Versorgers EnBW. Der schloss im Juni 2022 mit Venture Global LNG einen Vertrag, dem zufolge EnBW ab 2026 jährlich 1,5 Mio. Tonnen erhält. Laufzeit: 20 Jahre. Vorläufiger Gewinner sind einmal mehr die USA, denen die Erdgas-Pipeline Nord Stream 2 seit jeher ein Dorn im Auge war und die jetzt unter dem Codewort der »Diversifizierung der Energieversorgung« Europa ihr Flüssiggas aufdrängen. Die damit verbundenen langen Transportwege widersprechen zudem der sonst so vielbeschworenen »Nachhaltigkeit« und »Klimaneutralität«.
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Auf change.org ist eine Online-Petition (#RügenGegenLNG) zu finden – jede hier geleistete Unterschrift ist ein kräftiger Hieb in die Rippen des Systems.