Die USA und ihre Vorfeldorganisation NATO haben sich immer weiter nach Osten geschoben. In Georgien und der Ukraine setzten sie ihnen genehme Regierungen ein. Russland wurde eingekreist und griff an. Ähnlich war es 1914, als die Franzosen mit der Triple Entente das Deutsche Reich einkreisten.
Gastbeitrag von Sascha von Aichfriede
Bevor die Sowjetunion sich nach dem Ende des Kalten Kriegs und der Deutschen Einigung langsam aus Mitteleuropa zurückzog, ließ sie sich in die Hand versprechen, dass die NATO dies nicht ausnützen würde. Keine Osterweiterung, war die Vereinbarung. Hans-Dietrich Genscher und James Baker sagten dies 1990 in die Fernsehkameras – also keine Chance, es zu leugnen. Aber schon 1999 war das vergessen, als Polen, Tschechien und Ungarn der NATO beitraten. Bis 2020 folgten in mehreren Schritten Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Albanien, Kroatien, Montenegro und Nordmazedonien. Dreißig Mitgliedsstaaten sind es heute. Georgien und Ukraine wären die nächsten Kandidaten gewesen – bisher konnten sich die Amerikaner aber gegen Frankreich und Deutschland nicht durchsetzen, weil die auf Russland Rücksicht nahmen.
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Ukraine mehr Opfer der NATO als Russlands
Zustellen als Taktik
Die Amerikaner betrachten die NATO als ihren Vorhof, wie einst das Römische Reich seine Hilfsvölker. Die USA stellten Russland langsam zu – an jeder Flanke ein NATO-Staat mit potenzieller Stationierung von Atomwaffen. Von einer NATO-Ukraine aus wäre es ein Katzensprung nach Moskau.
NATO ist kein Freizeitverein
Ein Militärbündnis ist kein Freizeitverein. Tritt ein Land einem Militärbündnis bei, dann verändert sich dadurch die geopolitische Gesamtlage. Und die NATO-Länder müssen diese Schockwellen einkalkulieren, bevor sie Kandidaten den Beitritt gestatten. Das werden sie auch bei der Osterweiterung der NATO getan haben – und haben Stress mit Russland billigend in Kauf genommen. Somit ist die NATO kein Defensivbündnis mehr, sondern ein Aggressor, ein Provokateur. Nicht vergessen: Erst kam die NATO-Osterweiterung, dann hat Russland angegriffen.
Wie 1914
Nicht nur sind die deutschen Leitmedien in einer Kriegsstimmung, wie es zuletzt im August 1914 war; auch die Bündniskonstellationen sind vergleichbar. Frankreich hatte als Revanche für den verlorenen Krieg 1870/1871 kontinuierlich an einem Bündnis mit diversen Staaten gearbeitet – gegen das Deutsche Reich. Solange Bismarck die Außenpolitik bestimmte, waren sie wenig erfolgreich. Der ungeschickte Wilhelm II. jedoch hatte zu verantworten, dass die Franzosen nach Bismarcks Abgang zuerst Großbritannien an sich banden (Entente Cordiale) und dann das Russische Reich (Triple Entente). Das Deutsche Reich war in eine Situation gedrängt, die nach einem Befreiungsschlag schrie. Es war: eingekreist.
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Versäumnisse
Eingekreist zu sein heißt jedoch, dass man sich hat einkreisen lassen. Die Flotten- und Industriepolitik Wilhelms II. sowie die Nibelungentreue zu Österreich-Ungarn trieb den Franzosen die Partner in die Fänge. Und dass sich osteuropäische Länder in die NATO eingliedern lassen, hat etwas mit russischen Versäumnissen zu tun. Die Amerikaner waren geschickter darin, die osteuropäischen Staaten zu beeinflussen, machten das attraktivere Angebot. So wie die Franzosen dem Zaren mit industriellen Direktinvestitionen das bessere Angebot machten und die Deutschen nicht.
In die Falle getappt
So in Bedrängnis gebracht, im falschen Vertrauen auf die eigene Stärke, erklärten sowohl die Deutschen 1914 als auch Russland 2022 den Krieg (oder die Sonderoperation). Sie sind in die Fallen getappt, die ihnen gestellt wurden. In den Geschichtsbüchern sind sie als die Schuldigen registriert. Wer zuerst zuschlägt, ist schuldig. Dass gegen sie in aggressiver Weise ein Bündnisnetzwerk geschmiedet wurde – ein Detail für Spezialisten. Das sagt auch etwas über die deutsche und russische Natur aus: Beide Länder sind eher phlegmatisch, wenn es um eine umtriebige Außenpolitik und das zielgerichtete Schmieden von Koalitionen geht. Darin sind die Amerikaner besser.