BRICS-Gipfel innovativer als G7 & NATO
Wer im Juni 2022 über Inflation sprach, hätte auch von einer Gipfel-Inflation sprechen können, denn es fanden gleich mehrere bedeutende Gipfeltreffen statt, wenngleich in den Leitmedien die Berichterstattung über den G7- und den NATO-Gipfel deutlich überwogen. Nichtsdestotrotz befassten sich das 6. Gipfeltreffen der Kaspischen Küstenstaaten und das BRICS-Gipfeltreffen mit sehr weitreichenden Entscheidungsprozessen. Besondere Aufmerksamkeit ist besagten Treffen deshalb zu schenken, weil sich an ihnen konträre Entwicklungen geopolitischer Blöcke ablesen lassen.
Sascha A. Roßmüller
An den rund 170 Millionen Euro teuren G7-Gipfel im oberbayerischen Elmau – im Rahmen dessen es sogar möglich war, dass Deutschland Grenzkontrollen durchführte – schloss sich unmittelbar der NATO-Gipfel in Madrid an, der nicht allein nur hinsichtlich der Beitrittsgespräche Schwedens und Finnlands von besonderem Interesse war, sondern auch, weil die NATO an einem Update ihres strategischen Konzepts feilt.
Während ein Beitritt der beiden skandinavischen Staaten die Spannungen mit Russland anheizt, belasten die konzeptionellen Überlegungen von NATO-Ambitionen im indopazifischen Raum die Beziehungen mit China stark.
China kritisiert entschieden die „Kalte Krieg-Mentalität des NATO-Strategiekonzepts, weil darin China ausdrücklich als angebliche Bedrohung für die Sicherheit der NATO-Staaten benannt wird. Dies darf man wohl zweifelsohne als diplomatisch äußerst unfreundlichen Akt bezeichnen. Die zusätzliche Stationierung weiterer NATO-Kampfgruppen in Bulgarien, Ungarn, Rumänien und der Slowakei war kaum eine Überraschung, etwas seltsam mutet hingegen an, dass selbst der Kampf gegen den Klimawandel offenbar militärische Qualitäten annehmen und Rechtfertigung für künftige Militärmissionen sein soll.
Afrika macht EU für Weizenkrise verantwortlich
Kurz vor besagtem NATO-Gipfel wurde auf dem G7-Gipfel zu dessen Ende hin die hegemoniale Uniformität der selbsternannten Global Leader doch noch herausgefordert, und zwar von den geladenen Gästen, sprich den Regierungsoberhäuptern Indiens, Südafrikas, Argentiniens, Indonesiens sowie dem Präsidenten der Afrikanischen Union. Diese ließen sich nämlich keineswegs in den Wirtschaftskrieg gegen Russland zwingen und strafen das Narrativ von Moskaus internationaler Isoliertheit Lügen.
Der Präsident der Afrikanischen Union reiste unlängst erst – trotz vorheriger Aufwartung von Bundeskanzler Scholz – nach Russland und machte die EU für die derzeitige Weizenkrise verantwortlich. Auch der Gastgeber des nächsten G20-Gipfels im Oktober, Indonesien, bleibt entgegen dem G7-Druck dabei, ebenso Wladimir Putin einzuladen. Wiederum unmittelbar vor dem G7-Gipfel fand auch der BRICS-Gipfel statt, und auch diesem waren im erweiterten Dialogformat BRICS+ Gaststaaten zugeladen, nur zeichnete sich dort ein anderer Ausgang ab, denn Argentinien und der Iran erklärten, der Gemeinschaft beitreten zu wollen, die dadurch etwa 40 Prozent der Weltbevölkerung und 30 Prozent des weltweiten BIP repräsentieren würde.
Weiterführende Informationen:
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BRICS plant alternative Reservewährung
Der BRICS-Gipfel verabredete sich zum koordinierten Einsatz für eine umfassende UN-Reform, insbesondere hinsichtlich einer angemessenen Repräsentanz der Entwicklungsländer im Sicherheitsrat. Überdies soll das Rüstungskontrollsystem erhalten bzw. verbessert werden. Die BRICS-Vertreter befassten sich auch mit einer missbräuchlichen Instrumentalisierung angeblich klimapolitischer Handelshemmnisse und forderten eine strikte Übereinstimmung mit den WTO-Abkommen. Die ambitioniertesten Pläne mit den potenziell geopolitisch weitreichendsten Folgen betreffen die internationale Finanz- und Währungspolitik.
Zur Stabilisierung des finanziellen Sicherheitsnetzes und Komplementierung bestehender internationaler Währungs- und Finanzvereinbarungen soll der Contingent Reserve Arrangement (CRA) Mechanismus im Rahmen der New Development Bank (NDB) weiter gestärkt sowie die Zusammenarbeit der Zentralbanken im Bereich des Zahlungsverkehrs intensiviert werden. Dadurch lösen sich die Staaten von der Abhängigkeit von IWF und Weltbank. Russland erklärte, dass sich Banken der BRICS-Staaten ungehindert an das System für den Transfer von Finanznachrichten (SPFS), Moskaus Pendant zu SWIFT, anschließen können.
Am folgenreichsten, weil den US-Dollar als Weltleitwährung herausfordernd, sind die BRICS-Pläne zur Schaffung einer internationalen Reservewährung auf der Grundlage eines Korbes von BRICS-Währungen.
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Militärischer Anspruch im Kaspischen Meer
Am Rande all dessen fand zudem noch in Turkmenistans Hauptstadt Aschgabat das 6. Gipfeltreffen der Kaspischen Küstenstaaten Russland, Iran, Kasachstan, Turkmenistan und Aserbaidschan statt. Besagte kaspische Anrainerstaaten vereinbarten am 29. Juni unter anderem, dass keine Streitkräfte von Drittstaaten das Kaspische Meer nutzen dürften. Perspektivisch wurde auch ein Abkommen über vertrauensbildende Maßnahmen für die Zusammenarbeit im Bereich von Sicherheit und Militär ins Auge gefasst.
Infrastrukturpolitisch stand das multimodale Netzwerk von See- und Schienenwegen, das den Indischen Ozean und den Persischen Golf mit Iran, Indien, Russland und potenziell Nordeuropa verbindet, der Internationale Nord-Süd-Transportkorridor (INSTC), im Mittelpunkt der Gespräche. Wie sich all diese Projekte weltweit letztendlich entwickeln werden, kann zum jetzigen Zeitpunkt niemand mit abschließender Sicherheit sagen, fest steht allerdings, dass sich die Welt nicht nur im Westen abspielt.
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