Die phantastische Welt der Heilpflanzen: Die Gewöhnliche Wegwarte

Als Heilpflanze 2020 ist die Gewöhnliche Wegwarte (Cichorium intybus) wohl doch nicht so sehr in Vergessenheit geraten, wie ich dachte – und wurde interessanterweise 2005 bereits Gemüse des Jahres. Bekannte Kulturformen sind Chicorée, Zuckerhut (Fleischkraut), Radicchio, Schnitt- und Wurzelzichorie. Diese Pflanzen sind so gesund dank ihrer Bitterstoffe.

Ines Schreiber

Ines Schreiber zwischen Johanniskraut (DS im November 2021) und Natternkopf (demnächst im Magazin)

Steckbrief

Die Gewöhnliche Wegwarte ist eine ausdauernde, krautige Pflanze, die Wuchshöhen von über einem Meter erreicht. Sie besitzt eine tiefreichende Pfahlwurzel und derbe Stängel. Die Grundblätter und die unteren Stängelblätter sind fiederschnittig, gestielt und ihre Unterseite ist borstig behaart. Die oberen Stängelblätter haben hingegen eine länglich-lanzettliche Form, sind fiederspaltig bis ungeteilt und sind ohne Blattstiel sitzend mit geöhrtem oder herzförmigem Blattgrund.

Die auffälligen blauen Korbblüten sind nur bei Sonnenschein am Vormittag und frühen Nachmittag geöffnet. Sie sitzen auf sparrigen, verästelten Stängeln. Ihre Bestäubung erfolgt durch Insekten, vor allem durch Bienen und durch Schwebfliegen.

Die widerstandsfähige Wegwarte gehört zu den Pionierpflanzen. Ihr macht sogar ein Standort an Hauptstraßen oder auf dem Mittelstreifen der Autobahn nichts aus – Hauptsache, es ist sonnig und trocken. Sie übersteht sogar einen gewissen Salzeintrag, wie er durch Streufahrzeuge entlang der Verkehrswege zustande kommt.

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Heilpflanze

Blüten, Blätter und Wurzeln der Gewöhnlichen Wegwarte werden als anregende und kräftigende Arzneien benutzt. Paracelsus schrieb der Wegwarte schweißtreibende Kräfte zu und Kneipp empfahl sie bei Magen-Darm- und Lebererkrankungen. Traditionell wird die Wegwarte bei allgemeinen Schwächezuständen, Appetitlosigkeit, Rheuma und Gicht angewandt. Die zerquetschten Blätter kann man als Umschlag bei Entzündungen verwenden.

Die Hauptwirkstoffe sind Inulin, ein Ballaststoff, der die gesunde Darmflora stärkt und Cholin, was die Ablagerung von Fett im Körper vermindert und blutdrucksenkend wirkt. Der Bitterstoff Intybin regt Speichelfluss und Magensekretion an und wirkt galle- und harntreibend.

Die Wegwarte gilt auch als eines der wenigen Phytotherapeutika für die Milz. In der ägyptischen Volksmedizin wird die Wurzel bei Tachykardie (zu schnellem Herzschlag) verwendet. Unter dem Namen »Chicory« zählt sie zu den »Bachblüten«.

Kaffee-Ersatz

Als Wurzelzichorie wurde geröstet zunächst dem Bohnenkaffee zugesetzt, um diesem mehr Farbe und Bitterkeit zu verleihen. Ab Mitte des 18. Jahrhunderts wurde sie auch allein als Kaffee-Ersatzgetränk verwendet. Als Erfinder des Zichorienkaffees (Muckefuck) gelten der kurhannoversche Offizier Christian von Heine aus Holzminden und der Braunschweiger Gastwirt Christian Gottlieb, die um 1769/70 Konzessionen für den Betrieb von Zichorienfabriken in Braunschweig und Berlin erhielten.

Gefördert wurde der Anbau durch Friedrich den Großen nach dem Siebenjährigen Krieg, weil die Staatskassen knapp befüllt waren. Geld für teure Luxusimporte wie Bohnenkaffee gab es kaum. Ein Ersatz musste her. Der Alte Fritz wusste Rat und ließ Ende des 18. Jahrhunderts Zichorienkulturen anlegen.

Die geröstete und gemahlene Wurzel der Gewöhnlichen Wegwarte wurde auch später als Kaffeeersatz oder -zusatz gebraucht. Sie wird dabei nach ihrem lateinischen Namen »Zichorie« genannt. Ihren endgültigen Durchbruch hat die Zichorie Napoleon zu verdanken. 1806 verhängte der französische Kaiser die Kontinentalsperre, in deren Folge auf dem europäischen Festland Lebensmittel, insbesondere importierte Genussmittel wie die exotischen Kaffeebohnen, knapp wurden.

In der Zichorie steckt zwar kein Koffein, dafür aber etliche Mineralstoffe und Spurenelemente wie Eisen und Zink. Wer Wegwarten- oder Zichorienkaffee (besser auch bekannt als Muckefuck oder Preußenkaffee) selbst bereiten möchte, muss die Wurzel der Wegwarte ernten, reinigen, trocknen und rösten und dann mahlen. Schließlich mit kochendem Wasser übergießen und die pure Gesundheit genießen.

Gemüse

Aus der Wurzelzichorie ging etwa in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Sorte «Witloof» (Weißlaub) hervor, aus der man bis heute den Chicorée treibt. Als Salat, viel besser aber noch als gedünstetes Gemüse mit feinen Saucen oder überbacken, bereichert er seitdem den winterlichen Speisezettel. Im Mittelmeerraum, besonders in Italien, gibt es zahlreiche Zichoriensorten, die als Wintersalate genutzt werden. Aus Kampanien und Kalabrien stammt wahrscheinlich die traditionelle Verwendung der Wildform als Salat oder Gemüse.

Chicorée; Quelle: Bild von jean-pierre duretz auf Pixabay

Legenden

Um die Gewöhnliche Wegwarte ranken wie um so viele Heilpflanzen Sagen und Mythen. So heißt es, wenn man die Wegwarte pulverisiert dem Ehemann unters Essen mischt, sichert das eifersüchtigen Damen die Treue des Gemahls. Legt man sich hingegen als junge Frau nach einem besonderen Ritual die Wegwarte unter das Kopfkissen, soll sich im Traum der Zukünftige zeigen. Als Zutat in Zaubertränken kann man mit ihr die Aufmerksamkeit eines Herren gewinnen. Nun, ob dem so ist, können Sie – liebe Leserinnen – ja einfach mal ausprobieren.

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