Nachgefragt: Auch die Bedrohung Europas durch muslimische Einwanderer oder Parallelgesellschaften hat eine Vorgeschichte, die vor allem in der Aufgabe der eigenen europäisch-abendländischen Identität und der Masseneinwanderung begründet liegt.
Nach den jüngsten Terrorakten in Österreich und Frankreich sprach unser Autor Alexander Markovics für die DEUTSCHE STIMME mit dem berühmten französischen Rechtsintellektuellen Alain de Benoist über dieses Thema. Anlässlich seines 80. Geburtstages veröffentlichen wir das Interview an dieser Stelle erneut:
»Die Masseneinwanderung bereitet dem Dschihadismus den Boden!«
DS: Der Mord am Geschichtslehrer Samuel Paty hat in Frankreich für Entsetzen gesorgt. Frankreichs Präsident Macron hat nun einen Kampf für den Erhalt des Laizismus und gegen den »islamischen Separatismus« angekündigt. Wie erklären Sie sich den plötzlichen Wandel in der Rhetorik Macrons, der bisher immer für ein »Vivre ensemble« zwischen dem französischen Staat und den ihren Glauben bewahrenden Einwanderern gestanden hat?
Die Enthauptung von Samuel Paty, gefolgt vom Blutbad in der Basilika von Notre Dame de Nice – drei Personen wurden mit einer Stichwaffe getötet, eine davon sogar enthauptet – stellt eine neue Etappe in der langen Liste der islamistischen Anschläge in Frankreich dar. Diese haben bald 300 Tote gefordert. Emmanuel Macron hat tatsächlich einen neuen Ton an den Tag gelegt, der viel härter und kriegerischer ist als alles, was er in der Vergangenheit gesagt hat. Er hat vielleicht die volle Tragweite der Situation begriffen, aber er weiß auch, dass die Präsidentschaftswahl 2022 näher rückt und er fühlt sich verpflichtet, auf die öffentliche Meinung zu reagieren. Er weiß, dass die Menschen das alles nicht mehr hinnehmen können. Sie haben es heute mit zwei Arten des Virus zu tun: Covid-19 und dem Terrorismus. Und in beiden Fällen gibt es keine Impfung!

Der französische Staatspräsident Emanuelle Macron will wiedergewählt werden – und versucht nun, mit anti-islamischer Rhetorik zu punkten. Doch was hatte er zuvor zur Wurzel allen Übels, der Masseneinwanderung nach Frankreich und Europa, zu sagen? Bild: Quelle
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Diese Feststellung Alain de Benoists von 1985 gilt noch immer. Er lernte dabei ausdrücklich von Antonio Gramsci.
Man muss jedoch an der Entschlossenheit des französischen Präsidenten zweifeln. Macron hat bereits mehrere Male gesagt, dass »wir uns im Krieg befinden«. Wenn man im Krieg ist, besteht die erste Handlung darin, den Feind zu bestimmen. Oder man weigert sich, dies zu tun wie er es seit mehr als 15 Jahren zu tun pflegt. Heute prangert Macron den »islamistischen Separatismus« an, doch das ist total lächerlich:
Die Islamisten stellen überhaupt keinen territorialen Anspruch, sie wollen nur eine Gegengesellschaft errichten, welche sich so weit wie möglich auf die Zivilgesellschaft erstreckt. Macron hat außerdem gesagt, dass die Islamisten »Die Republik« angegriffen hätten, was ebenfalls komplett absurd ist: Samuel Paty wurde nicht ermordet, weil er ein »Republikaner« war, sondern weil er als »Ungläubiger« und »Gotteslästerer« betrachtet wurde.
Wenn man in den Krieg zieht, muss man außerdem den Willen und die Mittel haben, um ihn führen zu können. Im Moment sind wir weit davon entfernt. Man wird Verhaftungen, Verbote und Abschiebungen miterleben, aber ich bezweifle, dass das ausreichen wird, um das Problem zu lösen. Macron weigert sich immer noch, über die Einwanderung zu sprechen, das heißt, er will sich mit den Folgen beschäftigen ohne die Wurzel des Problems zu bekämpfen. Aber in Wahrheit bereitet die unkontrollierte Masseneinwanderung heute den Nährboden des Dschihadismus.
Das Problem wird dadurch verkompliziert, dass seine Macht begrenzt ist. Man glaubt oft, dass es ausreichen würde, wenn der Staatschef sich dazu entschließt, die Einwanderung zu stoppen, damit die Dinge sich zum Guten wenden. In Frankreich aber würde der Staatschef sich mit der Macht der Richter konfrontiert sehen, für die die Ideologie der Menschenrechte über den politischen Interessen der nationalen Gemeinschaft steht. Seine Entscheidungen würden vom Verfassungsrat, dem Staatsrat oder dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte kassiert werden.
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Das stellt ein riesiges Problem dar. Man kann keinen Krieg mit einer auf den Frieden ausgelegten Gesetzgebung führen. Im Ausnahmezustand sind die üblichen Rechtsnormen überholt. Aus diesem Grund schrecken viele Personen nicht davor zurück, die Prinzipien des Rechtsstaates in Frage zu stellen (der in Frankreich niemals eine derartige Ehrfurcht gebietende Stellung hatte wie in Deutschland).
Wenn man Schluss machen will mit den schönen Phrasen, den Gebeten und den Schweigeminuten, den Blumen und den Kerzen, muss die Politik aufhören, dem Recht zu unterliegen. Hier ist genau dasselbe Prinzip am Werk wie in der Demokratie. Die Demokratie ist nicht der Liberalismus, sie ist nicht synonym mit dem Rechtsstaat. Demokratie bedeutet Volkssouveränität. General de Gaulle hat gesagt: »In Frankreich bildet das Volk den obersten Gerichtshof!« Die Franzosen sind heutzutage zu über 75 Prozent der Ansicht, dass die Einwanderung gestoppt werden muss. Es liegt am Staat, darüber zu entscheiden, wie der Wunsch des Volkes umzusetzen ist.
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DS: Am 2. Oktober hat Macron den Laizismus in einer Rede als den »Zement, der Frankreich vereint« bezeichnet. Wie aber kann der Laizismus Frankreich vereinen, wenn Frankreich zum einen eine lange christliche Tradition besitzt und zum anderen durch die Masseneinwanderung der letzten Jahrzehnte über eine große muslimische Bevölkerung verfügt?
Ein laizistischer Staat ist kein Staat, in dem man an nichts mehr glaubt! Das Prinzip des Laizismus besteht in der Trennung von Kirche und Staat: Der Staat erkennt alle Kulte an, aber identifiziert sich nicht mit ihnen und fördert sie nicht. Das bürgerliche Gesetz steht über den Glaubensgesetzen und die Religionen sind auf den Privatbereich beschränkt, auf die Gefahr hin, dass ihr Glaube als nicht mehr als die Meinungen der anderen angesehen wird. Seit dem Gesetz von 1905 hat sich eine Art Konsens etabliert bis zu dem Punkt hin, dass der Laizismus in diesem Sinne als der »Zement der französischen Gesellschaft« angesehen wurde.
Weiterführende Informationen:
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Dazu sollte man auch wissen, da Sie die Rolle der »christlichen Tradition« in der Geschichte Frankreichs beschworen haben, dass es heute in Frankreich kaum vier Prozent praktizierende Christen gibt. Die christliche Religion ist in Frankreich nicht nur privatisiert worden, sie befindet sich auch in einem gewaltigen Niedergang: Die Mehrheit der aktiven Priester auf dem Boden Frankreichs sind heute Schwarzafrikaner. Die Katholische Kirche ist heute auf jeden Fall zu einer Religion geworden, deren größte Bataillone sich in der Dritten Welt befinden, was im Übrigen ihrer universalistischen Berufung entspricht (das »Volk Gottes« kennt keine Grenzen). Das Problem liegt darin, dass der Niedergang der christlichen Religion mit einem ungeheuren Anwachsen der islamischen Religion einhergeht. Die Kirchen sind leer, die Moscheen sind voll. Und die Muslime akzeptieren nicht, dass sie ihren Glauben nicht im öffentlichen Raum leben dürfen.
DS: Innenminister Gérald Darmanin hat die »kommunitaristischen Regale« in französischen Supermärkten als Sündenbock für die Spaltung der französischen Gesellschaft genannt. Würden Sie als Denker, der sich zum Beispiel in »Wir und die Anderen« mit dem Konzept des Kommunitarismus ausführlich auseinandergesetzt hat, dieser Aussage zustimmen?
Die polemische Erklärung von Gérard Darmanin ist gleichzeitig demagogisch und wenig intelligent. Dass die Muslime halal essen wollen, so wie die Juden koscher essen, trägt nicht dazu bei, die öffentliche Ordnung zu unterminieren. Wenn sie sich nicht in den Spezialabteilungen der großen Kaufhäuser mit Essen eindecken können, werden sie in Geschäfte gehen, die nur halal-Waren verkaufen. Man darf sich nicht auf so unwesentliche Dinge fixieren, wenn wir die Ersetzung des Volkes, der wir beiwohnen, zur Gänze verstehen können wollen.
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Ich möchte hinzufügen, dass es ein großes Missverständnis bei der Verwendung des Wortes »Kommunitarismus« gibt. Mit diesem Begriff bezeichnet man die Lebensformen innerhalb der globalen Gesellschaft, die die Sezession vom Rest des Landes erklären wollen, das Auftauchen von rechtlosen Zonen oder Enklaven usw. Das Wort »Gemeinschaft« besitzt aber einen ganz anderen Ursprung. Ich persönlich verwende es im klassischen Sinne der ihm zum Beispiel von Ferdinand Tönnies in seinem berühmten Buch Gemeinschaft und Gesellschaft (1887) gegeben wurde. In diesem Sinne ist die Gemeinschaft ein Zusammenschluss organischen und holistischen Typs, der im Gegensatz zur »Gesellschaft« steht, deren Fundament das rationale Individuum im liberalen Sinne des Begriffs ist. Was man in den Vereinigten Staaten die Denkschule des »Kommunitarismus« (Michael Sandel, Alasdair MacIntyre, etc.) nennt, ist eine ganz andere Sache. Der »Kommunitarismus« soll uns nicht dazu bringen, einer Rückkehr zur Gemeinschaft und dem Gemeinwohl abzuschwören.

Dass Macron die Meinungsfreiheit verteidigt, auch gegen wildgewordene Islamisten, ist selbstverständlich. Dass er sich aber auch mit den Mohammed-Karikaturen selbst solidarisierte, lieferte dem türkischen Staatspräsidenten Erdoğan den Vorwand, einen großen Teil der muslimischen Welt hinter sich zu vereinen. Dies sei unnötig gewesen, meint unser Gesprächspartner Alain de Benoist.
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DS: Über die Grenzen Frankreichs hinaus haben Macrons Äußerungen zu den Mohammed-Karikaturen beim türkischen Präsidenten Erdogan für Aufsehen gesorgt. Denken Sie, dass das Wiedererstarken des französischen Laizismus im Zusammenhang mit dem Konflikt zwischen dem Westen und der Türkei innerhalb der NATO steht?
Macron hat sich außerdem ein großes Missgeschick geleistet. In dem er proklamierte: »Wir werden die Karikaturen nicht aufgeben« hat er den Eindruck erweckt, dass er sie auf sein Konto nimmt und was noch viel schwerer wiegt, dass die Meinungsfreiheit für ihn insgesamt auf das Recht auf Blasphemie hinausläuft. Wenn er sich darauf beschränkt hätte zu sagen: »Wir werden weiterhin die Meinungsfreiheit gewährleisten«, wären die Folgen nicht die gleichen gewesen. Wenn es aber ein Recht auf Blasphemie gibt, gibt es nicht automatisch eine Pflicht zur Gotteslästerung. Die Freiheit zur Blasphemie ist eine Sache, die Freiheit nicht gezwungen zu sein zu sehen was man nicht sehen will, eine andere. Indem sich Macron mit den objektiv gesehen schockierenden Zeichnungen in Charlie Hebdo solidarisiert hatte, hat er etwas geliefert, das die arabisch-muslimische Welt nur als Provokation betrachten konnte.
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Erdogan, dessen Beziehungen mit Frankreich aufgrund seiner Rolle in Syrien, Libyen, dem Mittelmeerraum und Aserbaidschan bereits angespannt waren, hat die Situation sehr gut zu seinem Vorteil genutzt, was es ihm erlaubte, sein Prestige bei den Muslimen in der ganzen Welt zu stärken. Die Amerikaner haben ihn wegen seiner Rolle in der NATO verschont und Deutschland hat sich zurückgehalten, weil Angela Merkel Angst vor den Reaktionen der türkischen Minderheit, welche auf deutschem Boden lebt, hat. Die Lektion, welche Frankreich aus dieser Situation ziehen kann ist, dass es an der Zeit ist, sich aus dem transatlantischen Bündnis der NATO zurückzuziehen, da diese seit dem Ende des Kalten Krieges keine Existenzberechtigung mehr besitzt außer jener, der bewaffnete Arm der Außenpolitik Washingtons zu sein.
Abschließend möchte ich sagen, dass man eine harte Einwanderungspolitik vertreten kann, während man gute Beziehungen mit der arabischen Welt pflegt. Der Philosoph Michel Onfray machte der französischen Regierung vor kurzem den Vorwurf, in der Innenpolitik zu islamophil und in der Außenpolitik zu islamophob zu sein. Das ist aus meiner Sicht eine gute Einschätzung.
DS: Herzlichen Dank für Ihre differenzierten Ausführungen, Monsieur de Benoist!
Die Gesprächsführung und Übersetzung aus dem Französischen übernahm für uns DS-Autor Alexander Markovics.
ZUR PERSON
Alain de Benoist, geboren 1943, Schriftsteller und Philosoph. Studium der Rechtswissenschaften, Politikwissenschaften und Religionsgeschichte an der Sorbonne und der Universität von Paris.
Gründer der Zeitschriften Nouvelle Ecole*** (1968) und Krisis*** (1988), Leitartikelschreiber der Zeitschrift Eléments***, Autor von ungefähr 115 Büchern, 2000 Artikeln und 800 Interviews, übersetzt in 14 verschiedene Sprachen.
Jüngste Veröffentlichungen (bisher noch nicht ins Deutsche übersetzt): Le moment populiste (2017), Ce que penser veut dire (2017), Contre le libéralisme. La société n’est pas un marché (2019), La chape de plomb (2020).

Alain de Benoist gilt als maßgeblicher Vordenker der »Nouvelle Droite«, der Neuen Rechten. Zusammen mit Dominique Venner war de Benoist 1968 Mitbegründer des »Groupement de Recherche et des Etudes pour la Civilisation Européenne« (GRECE).
Eine Antwort
Lange christliche Tradition war doch auch die Durchsetzung des Glaubens mittels Gewalt. Im Islam gibt es keinen Zwang zum Glauben, das steht sogar im Koran. Was weiterhin übersehen wird, ist das der Islam doch teilweise auch christlich ist, da der sog. „Jesus“ und seine angebliche Mutter auch bei denen sehr geschätzt werden.
Auch der Antiislamismus hat seine Hintergründe. Die antiisamistischenKarrikaturen oder Äußerungen gegen Mohammed sind doch nicht zufällig. Samuel Paty soll der Lehrer geheißen haben ? Nun sein Vorname weist doch schon in die Richtung, obwohl ich über seine Abstammung auf die Schnelle nichts gelesen habe. Nun wird das doch wohl nicht der 1. und einzige Mord gewesen sein. Ein Christ soll doch in Frankreich auch einen (oder mehrere ?) Mord begangen haben – nach meiner schwachen Erinnerung, Syrischer Christ oder so ähnlich. Ob man auch gegen den christlichen Terror sich empört hatte ? Ein Ex-Mitglied der Zeugen Jehovas hatte doch auch einige vorzeitig in die „Unterwelt“ befördert. Fragen könnte man sich auch was die Karrikaturen mit Meinungsfreiheit zu tun haben und wie er darauf kam. Mal angenommen ein Lehrer würde den Schülern als Beispiel Karrikaturen über den „Hohlen Claus“ zeigen, die es ja auch gibt. Ob man da auch die Meinungsfreiheit verteidigen würde ? Ein Glück, das man den Täter erschossen hat, so kann er nichts mehr zur Vorgeschichte erzählen…