Wendepunkt 1917 – Kriegseintritt der USA

„Ami go home?!“ Die aktuelle Kampagne des Compact-Magazins ist eine Antwort auf die permanente Unruhestifterei unseres angeblichen Freundes. Die USA, welche maßgeblich von deutschen Zuwanderern geprägt sind, spielen schon lange eine schicksalsbestimmende Rolle für uns. Wie das Kriegsjahr 1917 zeigt, ist es keine gute.

Gastbeitrag von Sascha von Aichfriede

Einleitung

„Dieses Kaiserreich war damals der erfolgreichste Staat der Welt: wirtschaftlich, wissenschaftlich, kulturell, auch in sozialreformerischer Sicht.“ (der britische Historiker John C. G. Röhl zur Süddeutschen Zeitung, 4.6.2011)

Deutsche Historiker betreiben meistens mehr Geschichtspolitik als Wissenschaft. Wer eine objektive Einschätzung der deutschen Geschichte lesen will, muss daher ausländische Historiker heranziehen. So ist Röhls Urteil über jeden Zweifel erhaben: Gemessen am Bruttoinlandsprodukt war das Deutsche Reich im Jahr 1913 nach den USA die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt; das wegweisende Sozialversicherungssystem wurde hier begründet; es hagelte Nobelpreise – ein Zustand, von dem der deutsche Wissenschaftsstandort heute nicht einmal mehr zu träumen wagt.

Als das deutsche Kaiserreich 1918 besiegt war, endete aber nicht nur ein sehr erfolgreicher und innovativer Staat, sondern es begann auch eine Phase der politischen Extreme, Revolutionen und neuen internationalen Spannungen. Eine kritische Überprüfung der Kriegseintrittsgründe der USA ist daher notwendig, denn sie war ursächlich für diesen Ausgang. Anders aber als der Kriegsausbruch 1914, ist der Kriegseintritt der USA ein Thema, um dessen kritische Analyse viele Historiker einen großen Bogen machen. Daher beherrschen die deutschen Geschichtsbücher die Version der Dinge, wie sie in den Propagandaabteilungen der Entente zur damaligen Zeit ausgedacht wurden: Die USA traten an der Seite der Entente in einen Feldzug für Demokratie und Freiheit und gegen den barbarischen deutschen U-Boot-Krieg ein. Es ist nicht schwer, diese populäre Darstellung zu erschüttern.

Die USA und der Kriegsboom

Woodrow Wilson war seit 1913 Präsident. Für die USA waren die Jahre 1913 und 1914 geprägt von einer wirtschaftlichen Rezessioni – die Arbeitslosenquote stieg von 8,2 % im Jahr 1913 auf 16,4 % im Jahr 1914ii. Als der Krieg in Europa ausbrach, stellte dies für die USA eine Chance dar, aus der Rezession herauszukommen.

Unsere Empfehlung

Britische Seeblockade stellt die Weichen

Dass die Handelsbeziehungen der USA so einseitig auf die Entente Cordiale oder Triple Entente ausgerichtet waren, also Frankreich und Großbritannien und Russland, hatte einen wesentlichen Grund: die britische Seeblockade in der Nordsee. Sie unterband nicht nur den Nachschub von Gütern, sondern auch Beziehungen zwischen den USA und den Mittelmächten. Das sollte nicht ohne politische Konsequenzen bleiben.

Kriegsindustrie macht sich bemerkbar

Die Entente kaufte in den USA ordentlich ein: 1,5 Mrd. US-Dollar (1914); 2,3 Mrd. US-Dollar (1915); 4,6 Mrd. US-Dollar (1916) für militärische und zivile Güteriii. Auf den gebeutelten amerikanischen Arbeitsmarkt wirkte sich der Kriegshandel mit den Entente-Staaten wie erhofft positiv aus – die Arbeitslosigkeit verringerte sich kontinuierlich: 15,5 % (1915), 6,3 % (1916) und 6,0 % (1917)iv. Dass dieser Boom kriegswirtschaftsinduziert war, steht außer Frage, denn mit dem Ende des Krieges 1918 setzte auch die Rezession wieder einv.

Kauf auf Pump

Das meiste kauften die Briten und Franzosen aber auf Pump und das machte deren militärischen Erfolg unabdingbar. Kredite sind schließlich eine Wette auf die Zukunft. Zwischen 1914 und 1917 beschafften sie von den Amerikanern Güter im Wert von etwa 7 Mrd. US-Dollar auf Kredit (inflationsbereinigter Wert heute: etwa 171 Mrd. US-Dollar)vi.

Desolate Lage der Entente

Zum weiteren Verständnis der Ereignisse ist die Kriegslage Ende 1916 entscheidend: Die Entente-Offensiven (Brussilow, Somme, Isonzo) waren gescheitert; die Mittelmächte marschierten in Bukarest ein. Der damalige britische Premierminister David Lloyd George bestätigte diese Sicht der Dinge in seinen Kriegserinnerungen:

„Als ich aber die Aussichten zu Land und zu See in den letzten Monaten 1916 studierte, sah ich nicht den geringsten Grund für Optimismus. Es gab nicht ein Anzeichen dafür, dass uns unsere bisherigen Bemühungen und Opfer zu einem siegreichen Ende führen würden; und die Informationen aus dem Kriegsministerium oder der Admiralität waren in keinster Weise beruhigend.“vii

Kreditwarnung der Fed bringt Stein ins Rollen

Weil die Kriegslage der Entente besorgniserregend war, warnte das Federal-Reserve-Direktorium im November 1916 auf Drängen Präsident Wilsons öffentlich vor weiteren Krediten an die Entente-Staaten. Aber zu hoch waren diese geworden – der Schuldner kontrollierte mittlerweile den Gläubiger. Paul Warburg, Mitglied des Federal-Reserve-Direktoriums, konstatierte sinngemäß, dass der Schwanz mit dem Hund wedleviii. Der Schwanz war die Entente.

Der Kriegseintritt der USA wird zum Thema

Die Kreditwarnung der Fed und die drohende Niederlage der Entente stellten für die USA also ein großes Problem dar. Ein lukratives Rüstungsgeschäft drohte zu enden, Milliardenkredite wären abzuschreiben gewesen. Und für Präsident Wilson war die Wiederwahl gefährdet. Ohne Kriegsgeschäft und mit Milliardenabschreibungen, wäre sein Wahlkampf in eine Wirtschaftskrise gefallen. Der französische Politiker André Tardieu, späterer französischer Premierminister, stellte fest, dass der fahrig agierende Wilson die USA mit seiner kopflosen Kreditwarnung praktisch zum Kriegseintritt zwangix. Der war jetzt die einzige Option – nur so konnte der Kriegshandel mit der Entente weitergehen.

Im Februar 1917 verdichteten sich die Gespräche zwischen amerikanischen Banken, Unternehmern und der Regierung über diesen Schrittx. Mit dem Kriegseintritt würde der amerikanische Staat die Besicherung der Entente-Kredite übernehmen und er konnte als Kriegspartei – im Falle des nun wahrscheinlichen Sieges – von den Verlierern die Rückzahlung aller Kredite und eigenen Kriegsausgaben direkt einfordern.

Wilson erklärt den Mittelmächten den Krieg

Und dann brach auch noch das Zarenreich im März 1917 zusammen. Das Deutsche Reich hatte jetzt die Aussicht, entscheidende Kräfte nach dem Westen zu verlegen. Die totale Niederlage der Entente rückte unaufhaltsam näher. Es musste gehandelt werden und am 02.04.1917 beantragte Woodrow Wilson vor dem US-Kongress den Kriegseintrittxi. Seine „war message“ enthielt die übliche pathetische Wortwahl amerikanischer Präsidenten, wenn sie ihre Bürger aus nicht ganz so glanzvollen Gründen in den Krieg schicken: Verteidigung der Menschenrechte, Demokratie, friedlicher Handel.

Es war dasselbe Geschwurbel, welches wir auch heute noch aufgetischt bekommen, wenn der Westen in den Krieg zieht oder solche stiftet. Und natürlich war der Krieg gegen Deutschland auch ein Kampf für die Befreiung aller Völker. Was die Völker wohl damals dachten, an denen die Entente und die USA selbst grausame Kolonialverbrechen begangen hatten?

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Die Rolle des U-Boot-Kriegs

Im Februar 1917 rief das Deutsche Reich den uneingeschränkten U-Boot-Krieg aus. Die Proteste der Amerikaner waren heuchlerisch, denn auch die britische Seeblockade tötete Zivilisten – und zwar weit mehr als die U-Boote. Für die Amerikaner war dies jedoch ein propagandistisch gut nutzbarer Anlass für die Kriegserklärung. Zweitens waren die deutschen U-Boote tatsächlich eine Gefahr, nämlich für die Goldverschiffungen aus Europa nach den USA, welche die Kriegskredite absichern sollten. Diese Warnung telegrafierte der US-Botschafter in London Walter Hines Page am 05.03.1917 nach Washington.

Wilsons Geständnis

So heuchlerisch seine Kriegsbegründung war, muss man Wilson doch einen Moment der Aufrichtigkeit gutschreiben. Als er zum Versailler Vertrag am 19.08.1919xii von Senator Porter James McCumber befragt wurde, gab Wilson eine bemerkenswerte Antwort (übersetzt aus dem Englischen):

„Senator McCumber. Denken Sie, wir wären in diesen Krieg eingetreten, auch wenn Deutschland keinen kriegerischen Akt oder Unrecht gegen unsere Bürger begangen hätte?

Der Präsident. Ich denke schon.

Senator McCumber. Sie meinen wir wären in jedem Fall eingetreten?

Der Präsident. Das tue ich.“xiii

Die USA wären also so oder so in den Krieg eingetreten. Es ging nie um U-Boote oder die Demokratie, sondern nur ums Geschäft.

Das Nye-Komitee

Angesichts des Schlamassels, den der Ausgang des Ersten Weltkriegs in Europa und insbesondere Deutschland anrichtete, hatte nicht nur Wilson ein schlechtes Gewissen. Es rief auch andere Politiker auf den Plan (und führte die USA mittelfristig in den Isolationismus). Einer dieser Politiker war Senator Gerald P. Nye. Er bohrte in den 1930ern nach, warum die USA in den Krieg eintraten und welche Rolle dabei wirtschaftliche Interessen spielten. Sein „Nye-Komitee“, offiziell „Special Committee on Investigation of the Munitions Industry“, sammelte umfangreiches Material über die wirtschaftliche Interessenverstrickung der USA mit der Sache der Entente. Die Zwischenergebnisse des Komitees waren wenig schmeichelhaft für die USA. Als Nye zunehmend als Nestbeschmutzer galt, wurden dem Komitee die Mittel gestrichenxiv.

Britische Kriegspropaganda

Dass Deutschland durch den Kriegseintritt der USA den Krieg verlor, hatte mehrere begünstigende Faktoren: Die Briten taten vom ersten Kriegstag an alles, um die USA an ihrer Seite in den Krieg zu ziehen. Und es war nicht nur die wirtschaftliche Verwicklung. Nein, sie kappten sogar die Unterseekabel zwischen dem Deutschen Reich und den USA, um deren diplomatischen Austausch zu erschweren. Sie richteten ein eigenes Propagandabüro ein („Wellington House“) und beeinflussten in den USA auf allen Ebenen die öffentliche Meinung. Der spätere US-Präsident Hoover bestätigte, dass die USA von Briten und Franzosen vollständig eingelullt wurden – geistig-moralisch, politisch, wirtschaftlichxv.

Deutsche Versäumnisse

Die Briten waren nicht nur clever – die Deutschen machten es ihnen auch zu einfach: Die ersten Kriegserklärungen des Krieges gingen von den Mittelmächten aus und dann auch noch der Einfall in das neutrale Belgien. Das kannte den Schlieffenplan schon lange und wandte sich deshalb an die Briten als Schutzmacht.

Das Schmuddelimage des Aggressors verhinderte, dass die Deutschen zwei große antibritische Bevölkerungsgruppen in den USA mobilisieren konnten, nämlich die deutschen und die irischen Einwanderer. Mit deren Stimmen hätte die Politik in den USA wenigstens in Richtung Neutralität gelenkt werden können. Adolf Hitler kritisierte die kaiserliche Kriegsführung später in Mein Kampf dafür, dass sie Deutschland so ungeschickt zu jedermanns Feind machte. Ebenso war der uneingeschränkte U-Boot-Krieg, vor dem deutsche Diplomaten warnten, ein Bärendienst am eigenen Land. Er lud die USA praktisch in den Krieg ein, brachte aber keine militärische Entscheidung. Auch die deutsche Propaganda konnte der britischen inhaltlich nicht das Wasser reichen. Versäumnisse und Fehleinschätzungen überall.

Fazit

Viele Deutsche, allen voran Erich Ludendorff, führten die deutsche Niederlage auf das Wirken dämonischer, überstaatlicher Mächte zurück, die einen fast schon mystischen Kampf gegen das deutsche Volk führten. Aber so weit muss man gar nicht gehen. Ja, die Briten waren sehr clever darin, ein internationales, überstaatliches Bündnis gegen Deutschland zu schmieden. Cleverer als die Deutschen. Hunderte Jahre Erfahrung im diplomatischen Schachspiel machten sich hier für die Briten bezahlt. Eine Erfahrung, die die Deutschen nicht hatten. Wir mussten lernen, dass allein mit Tapferkeit, operativer Exzellenz und technischer Qualität sich überregionale Kriege nicht gewinnen lassen. Dabei waren die Gründe für den Kriegseintritt der USA ganz praktischer Natur – es ging ums Geld. Dafür ziehen die Amerikaner auch heute noch in den Krieg. Und den Briten gelang es, den Sieg der Entente Cordiale mit den wirtschaftlichen Interessen der USA zu verknüpfen.

Wie auch heute hinterließen die Amerikaner mit ihrer Intervention Unordnung. Es war ihr Kriegseintritt 1917, der das Blatt zugunsten des französischen Revanchismus wendete, welcher den Versailler Vertrag dominierte und die Weichen zum Zweiten Weltkrieg stellte. Für das, was nach 1918 kam, tragen die Amerikaner eine wesentliche Verantwortung.

Weiterführende Informationen:

»AtomKRAFT statt AtomKRIEG – Frieden statt Eskalation!«

»Die post-hegemoniale Welt: Gerechtigkeit und Sicherheit für alle«

Kriegsgewinnler USA – Rezession und Inflation für den Rest der Welt


i  https://www.nber.org/cycles.html (Zugriff: 08.02.2020).

ii  https://www.ssa.gov/history/reports/ces/cesbookc3.html (Zugriff: 08.02.2020).

iii  Quelle der Daten: Fordham (2007). Das Nye-Komitee ermittelte andere Werte für den kombinierten Export in die Entente-Staaten, abhängig davon, welche Staaten man in die Rechnung einbezog.

iv  https://www.ssa.gov/history/reports/ces/cesbookc3.html (Zugriff: 08.02.2020).

v  https://mises.org/library/forgotten-depression-1920 (Zugriff: 08.02.2020).

vi  Die exakten Werte schwanken je nach Quelle: vor dem Nye-Komitee gab Thomas W. Lamont, Partner bei J. P. Morgan & Co., den Wert von 7 Mrd. US-Dollar an (vgl. Nye-Komitee, 1936b: 183). Inflationsberechnung: https://smartasset.com/investing/inflation-calculator#EMzth5jzPY (Zugriff: 04.09.2022). Die Außenstände der Entente im Moment des Kriegseintritts der USA im April 1917 betrugen 2,7 Mrd. US-Dollar (vgl. Nye-Komitee, 1936a: 73), also 62 Mrd. US-Dollar Gegenwert im Jahr 2022.

vii  George, 1933 (317-318), übersetzt aus dem Englischen.

viii  Vgl. Nye Committee, 1936a (197).

ix  Vgl. Nye-Komitee, 1936a (56).

x  Vgl. Nye-Komitee, 1936a (208).

Weiterführende Informationen:

Leipzig sagt: »Ami go home!« – Klare Ansage an US-Besatzer

xi  https://www.loc.gov/law/help/digitized-books/world-war-i-declarations/ww1-gazettes/US-address-of-president-to-congress-April-1917-1-OCR-SPLIT.pdf (Zugriff: 08.02.2020).

xii https://www.visitthecapitol.gov/exhibitions/artifact/senate-committee-foreign-relations-vote-tally-lodge-amendment-treaty (Zugriff: 08.02.2020).

xiii  US-Senat, 1919 (40).

xiv  https://www.senate.gov/artandhistory/history/minute/merchants_of_death.htm (Zugriff: 08.02.2020). Siehe auch: Wiltz (1961).

xv  Vgl. Hoover, 1958 (4, Fußnote 2).

Literaturverzeichnis

[1] Fordham, Benjamin O. (2007). Revisionism Reconsidered: Exports and American Intervention in World War I. International Organization, 61, 2, S. 277–310.

[2] George, David Lloyd (1933). War Memoirs of David Lloyd George: 1915–1916. Boston: Little, Brown and Company.

[3] Hoover, Herbert (1958). The Ordeal of Woodrow Wilson. New York: McGraw-Hill.

[4] Nye-Komitee (vollständig: Special Committee On Investigation of the Munitions Industry, United States Senate), 1936a. Munitions Industry: Report on Existing Legislation [74th Congress, 2nd Session, Report No. 944, Part 5]. Washington: U.S. Government Printing Office.

[5] Nye-Komitee (vollständig: Special Committee On Investigation of the Munitions Industry, United States Senate), 1936b. Munitions Industry: Supplemental Report on the Adequacy of Existing Legislation [74th Congress, 2nd Session, Report No. 944, Part 6]. Washington: U.S. Government Printing Office.

[6] US-Senat (1919). Treaty of peace with Germany. Report of the Conference Between Members of the Senate Committee on Foreign Relations and the President of the United States at the White House, Tuesday, August 19, 1919 [66th Congress, 1st Session, Document No. 76]. Washington: U.S. Government Printing Office.

[7] Wiltz, John E. (1961). The Nye Committee Revisited. The Historian, 23, 2, S. 211–233.

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