Ein starkes Stück Arroganz und Ignoranz lieferte der SPIEGEL mit einem aktuellen Leitartikel ab. Lachhafte Analogien zu Churchill und dem Zweiten Weltkrieg werden geschlossen. Derweil ist der Westen selbst ein Heuchler.
Gastbeitrag von Sascha von Aichfriede
Im SPIEGEL 37/2022 erschien ein Leitartikel mit der Überschrift „Von Churchill lernen.“ Das versprach interessant zu werden. Der ehemalige britische Regierungschef und Gegenspieler Hitlers hatte schon einige zitierwürdige Aussagen getroffen, zum Beispiel: „Man hat sie (die Deutschen) entweder an der Gurgel oder zu Füßen.“ In der Nachkriegszeit lagen die Deutschen in tiefster Anbiederung den meisten anderen Völkern eher zu Füßen. Wie bei vielen Dingen gibt es in Deutschland nichts Ausgewogenes, nur ein extremes Ganz-oder-gar-Nicht.
Böser Putin
Aber bereits die Einleitung war ein richtiger Abturner: „Je höher die Energiepreise, desto mehr droht die Unterstützung für die Ukraine zu bröckeln. Bundeskanzler und Bundespräsident müssen den Deutschen klarmachen: Wer Putin stoppen will, muss Opfer bringen.“ Oje – der böse Putin wieder. Die Worte provozieren Gegenfragen: Müssen wir ihn stoppen? Warum Opfer bringen?
Unzuverlässige Russen? Nicht wirklich.
Sofort geht die SPIEGEL-Autorin Susanne Beyer auf Russland los: Angeblich breche Russland Lieferverträge nach Gutdünken. Aber da erzählt sie leider Blödsinn. Die deutsch-russisch-sowjetischen Energiebeziehungen reichen weit in die Vergangenheit zurück. In den 1960ern fing Westdeutschland unter Murren der Amerikaner an, Erdgasröhren in die Sowjetunion zu exportieren. Die Deutsche Bank finanzierte das Geschäft, damit die Sowjets die sibirischen Gasfelder mit westdeutscher Technik erschließen konnten. Seit den 1970ern liefert die Sowjetunion äußert zuverlässig und hat damit auch einen Beitrag zum Wohlstand unseres Landes geleistet, denn ohne günstige Energie wäre vieles anders gekommen.
Weiterführende Informationen:
Deutschland und Frankreich: Gekaufte Freundschaft
DS 2016: NATO verschärft Eskalationsstrategie gegen Moskau
Diese Lieferung ging weiter, auch als der Westen Afghanistan gegen die Sowjetunion unterstützte und auch, als das Sowjetreich 1991 unterging. Nord Stream 1 wurde gebaut, weil die Ukraine ein unzuverlässiger Transitpartner für das russische Gas war und sich oft genug illegal Gas abzapfte. Nord Stream 2 unterstrich die Zuverlässigkeit der Russen. Dass diese Energieehe nun in der Krise ist, haben wir den „grünen Falken“ in der Bundesregierung zu verdanken. Der verwirrte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck drohte schon 2016 den Russen:
„Guten Tag Herr Putin, Sie kennen mich noch nicht. Ich bin gerade Spitzenkandidat meiner Partei geworden. Geben Sie uns noch 2, 3 Monate, dann regieren wir diese Republik und dann wird sich folgendes ändern. Erstens: Wir werden Nordstream nicht bauen und die Handelsbeziehungen des Gastransfers zu Russland sukzessive abbauen, weil wir ein Energiewendeland sind.“
Seine Drohung macht er gerade wahr – Deutschland steht vor dem Blackout. Die Energiewende ist da … zum Schlechteren. Man muss es ganz deutlich sagen: Wir haben Nord Stream 2 scheitern lassen; wir haben mit den Sanktionen gegen Russland angefangen; wir mussten damit rechnen, dass Russland irgendwann reagiert; wir sind diejenigen, die unzuverlässig sind; wir haben keinen Energieplan B.
Sanktionen ohne Alternative? Nicht wirklich.
Ja, ja. Wir mussten mit Sanktionen reagieren. Weil wir ein Land der Symbolpolitik sind. Und das sagt auch der SPIEGEL: Es gehe darum, dass die Deutschen „finanzielle Opfer bringen müssen, für die Verteidigung von Demokratie und Freiheit in der Ukraine.“ Und hier kommt Winston Churchill ins Spiel; seine Rede von Mai 1940 zieht der SPIEGEL heran, in der er gegen Hitler-Deutschland einen Kampf heraufbeschwört, der dem Land alles abverlangen würde und er habe damit nichts anderes anzubieten als „Blut, Mühsal, Tränen und Schweiß“. So eine Rede müsse Olaf Scholz dem SPIEGEL nach halten.
Aber nicht nur, dass die Sanktionen uns mehr wehtun als den Russen und damit schon inhaltlich falsch definiert sind – auch die Zieldefinition ist eher ein Treppenwitz: Die Ukraine ist kein Außenposten von Demokratie und Freiheit, sondern ein Spielball im amerikanisch-russischen Machtkampf und dazu noch ein NATO-Osterweiterungsfeldzug. Noch vor dem Ukrainekrieg galt die ehemalige Sowjetrepublik als korrupte Halbdiktatur, die im Osten des Landes eine nicht ganz humane Politik gegen die russischstämmigen Bürger fuhr. An die Minsker Abkommen, die Deutschland federführend mitentwickelte, hielten sich die Ukrainer auch nicht1. Dafür und für die imperialen Pläne der USA sollen die Deutschen Opfer bringen? Was für Medikamente nimmt die Autorin?
Weiterführende Informationen:
US-Denkfabrik: Wie die Ukraine schöngeredet wird
Ukraine: Die „Freunde“ sind zurück
Kriegsgefahr durch mangelnde Souveränität
Putin will Zwist nach Europa tragen? Nicht wirklich.
Der SPIEGEL schreibt weiter, dass Putin Zwist nach Europa tragen wolle und kein Interesse an einer gemeinsamen Lösung habe. Doch hatte er … 2001. Aber wir schlugen sein Angebot aus, weil es den Amerikanern nicht passte. Der Westen brach zudem sein Wort, das damals James Baker auch vor laufender Kamera gab, und erweitere die NATO immer weiter in Richtung Osten.
Wie viele Kriege oder bewaffnete Aufstände hat der Westen, insbesondere die USA, schon entfacht? Es waren unzählige. Jedes Land betreibt Machtpolitik und nimmt Einfluss auf andere Länder. Russland tut es, die USA erst recht. Europa zu schwächen und einen Keil zwischen Russland und Deutschland zu treiben, ist ein wesentliches strategisches Ziel der Amerikaner, nicht der Russen. Schon 2015 stellte der Politikwissenschaftler George Friedman fest, dass das Ziel der US-amerikanischen Politik sei, eine europäische Supermacht und die Annäherung zwischen Deutschland und Russland zu verhindern. Diese Absicht bestimme auch den aktuellen Konflikt um die Ukraine.
Mit einem Autokraten kann man nicht zusammenarbeiten? Nicht wirklich.
Weder der SPIEGEL noch die anderen Atlantiker und Mitschwimmer können sich in die argumentative Fluchtburg zurückziehen, dass man mit einem Autokraten nicht reden könne und sich deshalb alle Gegenargumente von selbst erledigen würden. Dass es hier nicht um Demokratie vs. Autokratie geht, sieht man doch an den Partnern, die wir uns jetzt aussuchen. Habeck reist in die Golfstaaten und spricht mit anderen Autokratien, die die Grünen zuvor noch kritisierten. Die EU schließt ein Gas-Bündnis mit dem aserbaidschanischen Präsident Ilham Aliyev. Auf dem Demokratieindex steht die Kaukasusrepublik auf Platz 157 und wird als „harte Autokratie“ bezeichnet – Russland steht immerhin auf Platz 144 („moderate Autokratie“)2.
Alleine daran sieht man schon, dass dieses Gerede von einem Krieg für Demokratie und Freiheit völliger Schwachsinn ist. Es geht einfach nur um den amerikanisch-russischen Konflikt und wir stehen auf der Seite der Amerikaner. Punkt. Und das, obwohl wir ein großes Interesse an einer deutsch-russischen Partnerschaft hätten, Autokratie hin oder her. Die Amerikaner sind auch nicht gerade wählerisch, was ihre Mittel und Partner betrifft. Dann müssen wir es auch nicht sein.
Unsere Empfehlung:
1 https://deutsche-stimme.de/us-denkfabrik-wie-die-ukraine-schoengeredet-wird/ (Aufruf: 18.09.2022).
2 https://www.demokratiematrix.de/ranking (Aufruf: 18.09.2022).