Neue EZB-Strategie völlig falsch!
Sascha A. Roßmüller
Die Preise steigen so schnell wie zuletzt vor zehn Jahren, worunter auch die rund 21 Millionen Rentner leiden, von denen die meisten in diesem Jahr keine Rentenerhöhung erhalten. Besonders Rentner und Geringverdiener seien von der hohen Inflation betroffen, bestätigte unlängst Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer.

Doch nicht allein Geringverdiener sind betroffen. Betreffend des preisbereinigten Rückgangs der Bruttoverdienste im ersten Quartal 2021 war ein statistisches Minus von zwei Prozent zu verzeichnen, nachdem bereits im vergangenen Jahr ein Rückgang von real 1,1 Prozent erfolgte. Folgt man der Einschätzung der Bundesbank, könnten die Reallöhne noch stärker unter Druck geraten, indem der Preisauftrieb im Herbst sogar über die vier Prozent hinausgehen könnte. Unter diesem Lichte betrachtet stimmen die Eckpfeiler der neuen EZB-Strategie, die Präsidentin Christine Lagarde am Donnerstag vorstellte, keineswegs beruhigend.
Galoppierende Inflation
Nachdem bis noch vor Kurzem über einen längeren Zeitraum die seitens der EZB als preisstabil zu tolerierende Marke von knapp zwei Prozent deutlich unterschritten wurde, soll künftig eine ausgedehntere Periode darüber liegender Inflation ohne Gegensteuern der Notenbank zugelassen und sich stattdessen an einer Bewertung im zeitlichen Mittel orientiert werden (Average Inflation Targeting). Historisch betrachtet sollte jedoch bekannt sein, wie schmerzhaft nicht nur eine unter Umständen erst einmal galoppierende Inflation sein, kann sondern darüber auch sie wieder einzufangen.

Bundesbank-Präsident Jens Weidmann hat sich erst am 01. Juli in einer Rede vor dem Freundeskreis der Ludwig-Erhard-Stiftung kritisch gegenüber einer allzu toleranten Haltung gegenüber einem auch nur als temporär betrachteten Überschießen des Teuerungssziels geäußert. Eine derartige konzeptionelle Flexibilität überzeuge ihn nicht, weil sie leicht missverstanden werden könne. Dies könne – so Weidmann – als Versuch der Geldpolitik fehlinterpretiert werden, die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen über das Ziel der Preisstabilität zu stellen. Wenn Weidmann mit dieser Einschätzung unrecht haben sollte, dann vermutlich nur insofern, dass es sich dabei um kein Missverständnis handelt, sondern vielmehr exakt dies seitens der EZB gewollt ist.
Die Geister, die man rief
Es rächt sich, dass man die Staatsschuldenkrise mit dem Anreiz noch leichterer Verschuldung durch die Niedrigzinspolitik – im Übrigen vergeblich – zu bekämpfen versuchte und nun die geldpolitischen Geister, die man rief, nicht mehr los wird. Problem: Eine Leitzinserhöhung zur Eindämmung der Preissteigerungstendenzen würde den Schuldendienst der hochverschuldeten Euro-Staaten unbezahlbar machen. Diesbezüglich muss man die Blickrichtung nicht nur gen Süden zum sogenannten „Club Med“ richten, denn auch der deutsche Finanzminister käme in die Verlegenheit, durch einen mit schmerzhaften Einsparungen verbundenen Nachtragshaushalt ins Schwitzen zu kommen.

Die Zunahme der öffentlichen Verschuldung in Deutschland im ersten Quartal 2021 gegenüber dem Vorjahreszeitraum beläuft sich auf fast 13 Prozent bzw. 250 Milliarden Euro. Die falschen Weichenstellungen liegen viele Jahre zurück und wurden mit eiserner Beratungsresistenz ignoriert, weshalb mittlerweile in der Tat guter Rat inflationär, sprich teuer ist. Doch wenn man sich verlaufen hat, muss man nicht einfach schneller gehen, sondern notgedrungen umkehren. Eine Abkehr von der endemisch gewordenen QE-Geldpolitik – wenngleich gezwungenermaßen langsame, um arge Disruptionen zu vermeiden – scheint unvermeidlich, auch wenn´s weh tut. Ein Weiter-so wird man früher oder später weit schmerzhafter zu spüren bekommen.
Außerkraftsetzung der Marktwirtschaft
Leider entschied man sich im EZB-Rat genau für dieses Weiter-so bzw. sogar noch schlimmer. In welcher Größenordnung die EZB die Inflation-Leine symmetrisch um die Zwei-Prozent-Marke laufen lassen will, steht noch nicht fest, doch die monetären Instrumente, welche die Notenbank seit Jahren verhängnisvoll anwendet bleiben nicht nur erhalten, sondern wurden sogar noch flexibilisiert und verlängert. Dass die Notenbank künftig die Kosten des Wohnens im Eigentum bei der Inflation mit einrechnen will, dürfte die deutsche Situation mit überwiegend Mietwohnverhältnissen als Eigenheimen weniger widerspiegeln als andernorts. Es verwundert zumindest insofern, weil der zugrundeliegende EZB-Auftrag auf stabile Verbraucherpreise und nicht Vermögenspreise abzielt.

Bei geldpolitischen Geschäften Klimaschutzaspekte in den Bereichen Offenlegung, Risikobewertung, Sicherheitenrahmen und Ankauf von Wertpapieren des Unternehmenssektors zu berücksichtigen, darf als partielle Außerkraftsetzung der Marktwirtschaft gewertet werden. Doch nicht nur dies. Es stellt auch eine zunehmende Politisierung der Notenbank dar, die nicht originär fiskalische Entscheidungen in die Hände nicht gewählte Funktionäre legt, was demokratiepolitisch als äußerst bedenklich zu werten ist. – Alles in allem muss leider festgestellt werden, dass die neuen Weichenstellungen der EZB in vielerlei Hinsicht völlig falsch sind!
Weiterführende Informationen:
Post an die DS: Inflation nimmt Fahrt auf
Forderung des internationalen Währungsfonds: Nullzinsen und Inflation für Deutschland!
Schwerer Schlag gegen die EU – doch die EZB hat nichts dazu gelernt
Nationale Solidarität statt Altersarmut!

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