Wahlfälschungen in Deutschland – Ausnahme oder Regel?

Berichte über unzulässige Einflußnahmen und Fälschungsvorwürfe sind die ständigen Begleiter bei Wahlen in Ländern wie Rußland, der Ukraine oder Staaten in Lateinamerika. In Deutschland wird meist so getan, als wäre die Welt in dieser Hinsicht in völliger Ordnung. Trotz zahlreicher Wahleinsprüche fiel dem Bundestag in den vergangenen zehn Jahren keine einzige bewiesene Manipulation auf. Auch nach dem knappen Scheitern der NPD bei der Landtagswahl 2014 in Sachsen konnten entsprechende Verdachtsmomente nicht hinreichend belegt werden. Ist also tatsächlich alles in Ordnung? Daran kann gezweifelt werden, wie folgende Fälle zeigen:

Am 21. Juni 2015 muß die Stadtratswahl in der Altmarkstadt Stendal wiederholt werden. Bei den Kommunalwahlen im Mai 2014 war es hier zu den in Sachsen-Anhalt gravierendsten Manipulationen gekommen. Obwohl pro Person nur bis zu vier Briefwahlvollmachten herausgegeben werden dürfen, gab ein Mitarbeiter des Rathauses an den damaligen Stadtrat Holger Gebhardt (CDU, inzwischen zurück- und ausgetreten) und weitere 11 Personen „versehentlich“ wesentlich mehr heraus.

Diese Unkorrektheit hätte noch keinen Einfluß auf die Wahl gehabt, wenn die Unterlagen dann auch die Wähler erreicht, ausgefüllt, zur Abstimmung gegeben und ausgezählt worden wären. Das war jedoch von vornherein nicht so geplant. Wie die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft bisher ergeben haben, waren etwa 120 der 189 eingereichten Briefwahlvollmachten gefälscht. Viele der betroffenen Wähler waren beim Jobcenter registriert, wo  Gebhardt arbeitete. In rund 160 Fällen wurde auch die Unterschrift auf dem Wahlschein gefälscht, wie die stellvertretende Pressesprecherin der Stendaler Staatsanwaltschaft gegenüber der Regionalzeitung „Volksstimme“ den derzeitigen Erkenntnisstand beschrieb. Da für die Vollmachten gleichzeitig die Stimmzettel für die Stadtrats- als auch für die Kreistagswahl ausgegeben und jeweils bis zu drei Stimmen vergeben werden konnten,  könnte die Zahl der gefälschten Stimmen somit bis zu 1000 betragen.

Aufgefallen waren die Fälschungen nur deshalb, weil die Ergebnisse der Briefwahl stark von denen in den regulären Wahllokalen abwichen und sich jemand fand, der deshalb nachhakte.  Einige der vom Betrug betroffenen Wähler waren, ohne daß dies Folgen gehabt hätte, in ihren Wahllokalen abgewiesen worden, weil sie nach Aktenlage bereits per Brief gewählt hatten. Ein zugleich aufgekommener Verdacht auf Wahlfälschung in einem Pflegeheim in Salzwedel (ebenfalls Altmark), begangen von einem Stadtratskandidaten der Linken, konnte nicht abschließend geklärt werden und scheint mittlerweile in Vergessenheit geraten zu sein.

Anders lief ein zeitgleicher Fall von Wahlfälschung bei der Europawahl in Halle/Saale ab, der zunächst einigen Wirbel verursacht hatte. Ein Wahlvorsteher hatte offenbar 101 Stimmen zusätzlich für DIE LINKE in die Urne gegeben. Ein Wahlhelfer meldete seinen Verdacht der Stadt Halle, deren Wahlleiter daraufhin den Stimmbezirk neu auszählen und das Ergebnis im Nachhinein korrigieren ließ. Trotzdem hielten es die Verantwortlichen der Stadt nicht für nötig, die Staatsanwaltschaft einzuschalten. So erstattete der Wahlhelfer selbst Anzeige, woraufhin der Staatsanwaltschaft die nötigen Dokumente übergeben wurden, um sie auf eine Straftat hin prüfen zu lassen. Mittlerweile wurde das Ermittlungsverfahren gegen den Leiter des Wahllokals eingestellt, weil der „erforderliche Fälschungsvorsatz“ nicht nachzuweisen sei.

Wer nun glaubt, derartige Manipulationen beschränken sich auf das Gebiet der ehemaligen DDR mit ihren Altkadern aus SED und Blockparteien, der irrt gewaltig.  Auch bei den Kommunalwahlen im bayrischen Geiselhöring 2014 wurde kräftig gefälscht. Ausgenutzt wurde hierbei die gesetzliche Bestimmung, die EU-Bürgern das kommunale Wahlrecht ermöglicht. So gaben 465 von 482 rumänischen und polnischen Erntehelfern ihre Stimme der CSU, für die auch die Chefin des Spargelhofes, auf dem sie beschäftigt waren, kandidierte. Nicht nur die Wahlbeteiligung der Saisonarbeiter war ungewöhnlich hoch. So stellte die Kriminalpolizei fest, daß Wahlunterlagen bis nach Rumänien gefahren und dann in Deutschland ausgefüllt wurden. Die Ermittlungen laufen noch. Die Wahl allerdings mußte wiederholt werden. Trotz des Skandals hat die CSU dabei nur geringfügige Verluste erlitten und bleibt weiterhin stärkste Partei.

Ein weiterer Fall trug sich 2008 in Niedersachsen zu. Eine Betreiberin eines Alten- und Pflegeheims, zugleich Ehefrau und Mutter zweier Kandidaten für den Gemeinderat,  hatte eine zentrale Abgabe der Briefwahlstimmen von Heimbewohnern organisiert, dabei jedoch keinen Sichtschutz für die Wähler eingerichtet. Eine unbeobachtete Kennzeichnung ihrer Stimmzettel war so nicht möglich, eine Beeinflussung der Stimmabgabe nicht auszuschließen. Vor dem Oberlandesgericht Celle wurde die Angeklagte in letzter Instanz zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 200,- Euro verurteilt.

Eine Plauderei in lockerer Runde wurde „Zeit“-Chefredakteur Giovanni Di Lorenzo zum Verhängnis. Bei Günther Jauch hatte er im Mai letzten Jahres berichtet, daß er bei der Europawahl zweimal gewählt hatte, obwohl er nach dem Europawahlgesetz nur einmal hätte wählen dürfen. Als „italienischer Staatsbürger“ hatte er im Konsulat seines Heimatlandes in Hamburg seine Stimme abgegeben, ein zweites Mal als „Bundesbürger“ in einer Grundschule der Hansestadt. Mittlerweile hat die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen wegen des Verdachts der Wahlfälschung Zahlung einer finanziellen Auflage eingestellt.

Teuer wurde es auch für den „Jugendbeauftragten“ einer Gemeinde im Landkreis Regensburg. Gegen Bezahlung(!) führte er für mehrere Parteien und Vereinigungen Wahlversammlungen durch. Im Mai 2015 wurde er zu einer Bewährungsstrafe von zehn Monaten und einer Geldstrafe von 2.500 Euro verurteilt, weil er zehn Kandidaten für die Bayernpartei geworben hatte und sie dann aber für die „Republikaner“ auf der Liste eintrug.

Die Liste der Unregelmäßigkeiten, Fälschungen und sonstigen Manipulationen ließe sich noch lange fortsetzen. Der Ruf nach internationaler Aufsicht bei Wahlen ist dennoch bislang vergeblich gewesen. Solange bleibt es dem mündigen Bürger überlassen, den Ablauf von Stimmabgabe und –auszählung zu kontrollieren und sich zu fragen, wer eigentlich in diesem Land die „Demokratie in Gefahr“ bringt.

15. März 2017

  1. Ergänzung: Heute wurde das Urteil im Stendaler Wahlfälschungsprozess gesprochen. Der ehemalige Stadtrat Holger Gebhardt (CDU) muss für zwei Jahre und sechs Monate ins Gefängnis. Inzwischen wird auch die Landratswahl 2012 von der Staatsanwaltschaft untersucht.
  2. Ergänzung: Nachdem der Bundesgerichtshof (BGH) den Revisionsantrag des 44-Jährigen abgelehnt hat, steht jetzt nur noch die Frage im Raum, wann Gebhardt seine zweieinhalbjährige Haftstrafe antreten muss. siehe auch

 

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