Bilanz der Scham: Vereinte Nationen in Zentralafrika

Eigentlich ist der Auftrag klar: Verfeindete, bewaffnete Gruppen auf Distanz halten, für Ordnung und Stabilität sorgen, die Staatsmacht stärken und Verbrechen verhindern. Die Vereinten Nationen sind in Afrika präsent, doch ob und wie sie ihren Auftrag auf dem schwarzen Kontinent erledigen ist umstritten. Die kritischen Stimmen mehren sich jeden Tag.

Fritz Kirchner

Dabei wäre eine handlungsfähige und -willige UN-Präsenz in Afrika auch wichtig für Europa. Denn es sind nicht zuletzt die Dauerkrisen und die damit einhergehenden ökonomischen Probleme, die viele Afrikaner zu Wirtschaftsmigranten machen. Ein Kongolese wird so schnell zu einem Bootsmigranten, der am Strand einer italienischen Insel von Bord geht.

Die Leistungsbilanz der UN in Afrika fällt oft vernichtend aus. Nicht nur, dass sie ihren Auftrag nicht erfüllt – oft genug sind UN-Kräfte selber in Skandale verstrickt, stecken tief im Korruptionssumpf oder beteiligen sich an Verbrechen.

Vor allem die UN-Mission in der Zentralafrikanischen Republik (ZAR) ist ein solches Trauerspiel für die sogenannte »internationale Gemeinschaft«. Bereits 2014 kam es zu einem handfesten Skandal. Französische Soldaten sollen von hungernden Kindern Sex erpresst haben. Die Franzosen waren eigentlich als Hilfstruppen in dem Flüchtlingscamp der Hauptstadt Bangui stationiert. Der Vorwurf wurde monatelang vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) zunächst vertuscht.

Die bunten Werbebildchen auf der MINUSCA-Startseite können über das Versagen der UN-Truppen bei der »Stabilisierung« der Region nicht hinwegtäuschen.

Im April 2014 startete in dem Krisenland die UN-Friedensmission MINUSCA, doch von einer stabilisierenden Wirkung ist in der ZAR nur wenig zu spüren. Im Gegenteil, noch im vergangenen Dezember 2020 kam es zu einem Putschversuch durch militante Gruppen in dem Land. Im Zuge der Präsidentschaftswahlen kam es zu einem Großangriff der Rebellenkoalition CPC (»Koalition der Patrioten für den Wandel«). Der Plan der Aufständischen war, die Wahlen empfindlich zu stören oder gar unmöglich zu machen. Gleich mehrere Städte des Landes wurden von den bewaffneten Kämpfern eingenommen, etwa 800 Wahllokale (etwa 14 Prozent der Wahllokale in der ZAR) konnten wegen der Gewalt nicht arbeiten.

Die Angriffe der Rebellen konnten schnell zurückgeschlagen werden – aber nicht etwa mit der Hilfe der UN, sondern durch die reguläre Armee des Landes, die vor allem dank russischer Militärberater wieder zu einer ernstzunehmenden Kraft wurde. Auch die Streitkräfte Ruandas haben die ZAR-Armee beim Kampf gegen die Rebellen unterstützt.

Und das Problem für die ZAR scheint noch viel größer zu sein: Am 21. März dieses Jahres gaben die Oppositionsparteien bekannt, dass ihr »Koordinator« der frühere ZAR-Präsident Francois Bozizé sei, der das Land von 2003 bis 2013 regierte. Bozizé gilt als Politiker, der Frankreich treu ergeben ist und im Zweifelsfalle eher zu Paris steht als zu Bangui. Zwar hat Frankreich den bewaffneten Aufstand gegen die Regierung im letzten Dezember offiziell verurteilt, aber wohlfeile, diplomatisch formulierte Erklärungen halten keinen bewaffneten Kämpfer aus dem Dschungel davon ab, in die Hauptstadt Bangui zu stürmen. Außerdem ist bekannt, dass man mit dem derzeitigen und im Dezember wiedergewählten Präsidenten Faustin Archange Touadéra in Paris so seine Schwierigkeiten hat. Denn im Gegensatz zu Bozizé ist der aktuelle Amtsinhaber alles andere als ein loyaler Franzosenfreund. Beobachter und Experten stellen sich daher die Frage, ob die MINUSCA-Mission im Dezember die Rebellenmilizen nicht bekämpfen konnten, wollten oder gar durften. Hinter der MINUSCA-Mission sieht man die Großmacht Frankreich lauern, die gleichzeitig Mitglied des UN-Sicherheitsrats ist und einen Großteil der afrikanischen MINUSCA-Teilnehmerstaaten mit Hilfsgeldern versorgt. 

Sexueller Missbrauch, Gewalt, Prostitution und Schmuggel durch UN-»Friedenssoldaten«

Mehr als eine Milliarde US-Dollar kostet MINUSCA pro Jahr, ohne dass auch nur ansatzweise positive Resultate geliefert werden. Im Gegenteil: Es häufen sich Berichte über Alkohol- und Drogenmissbrauch durch UN-Soldaten, auch sexuelle Gewalt, Prostitution und Schmuggel seien keine Seltenheit, glaubt man den Berichten aus der Region. Allein im Jahr 2020 gab es Dutzende von Beschwerden über sexuellen Missbrauch durch UN-Friedenssoldaten. Zudem werden Angehörige der Blauhelme beschuldigt, illegal mit Diamanten und Gold zu handeln.

Auch, wenn in den europäischen Mainstreammedien darüber kaum berichtet wird – der Wind in dem afrikanischen Land hat sich längst gedreht. Die Mehrheit der Menschen der ZAR sieht in den UN-Angehörigen keineswegs mehr die Freunde und Helfer mit den blauen Helmen, sondern eine Bürde.

Längst stellt sich vielen Experten die Frage, ob das Versagen der UN in der ZAR – aber auch bei vielen anderen Blauhelm-Einsätzen – nicht sogar im System selbst begründet liegt. Dennis Jett, ehemaliger US-Botschafter in Mosambik und Peru drückte es einmal so aus: »Das Grundproblem ist, dass es keinen Frieden zu bewahren gibt, und die UN-Truppen sind nicht in der Lage, einen Frieden durchzusetzen – eben, weil sie Friedenstruppen sind und keine Krieger.«

Dazu wirken sich auch der supranationale Charakter und die praktisch fehlende Rechenschaftspflicht gegenüber den Staaten, auf deren Territorium die UN-Friedenstruppen aktiv sind, meist fatal und verbrechensfördernd aus.

Darüber hinaus hat die UN-Präsenz auch immer einen kulturimperialistischen Charakter, vor allem in Afrika. Nicht selten wird die UN daher als ein Instrument mächtiger, westlicher Staaten wahrgenommen, um »widerspenstige« Gesellschaftssysteme in anderen Regionen zu kontrollieren und zu disziplinieren. So werden gerade Afrika dysfunktionale, aus dem Westen importierte soziale und politische Institutionen aufgezwungen, während die traditionellen Gesellschaftssysteme dort entweder ignoriert oder sogar bekämpft werden.

Kritiker stellen daher nicht nur die UN-Friedensmissionen wie die in der ZAR, sondern die Vereinten Nationen insgesamt auf den Prüfstand. Sylvie Baïpo-Temon, seit 2018 Außenministerin der ZAR nimmt in ihrer Kritik jedenfalls kein Blatt vor den Mund: »Die UNO ersetzte den Völkerbund, der den Zweiten Weltkrieg nicht verhindern konnte. Ist es nicht an der Zeit, die UNO zu ersetzen, die angesichts der Vervielfachung von Konflikten seit ihrer Gründung immer noch um die Erhaltung des Friedens kämpft?«

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