Libyen: Es braut sich was zusammen

Sowohl in Libyen als auch Syrien könnte sich der islamistische Terror wieder rasch erholen und wieder eine Rolle spielen. Die europäische Politik kümmert das bislang kaum. Es drohen aber wieder Masseneinwanderungswellen – inklusive Terrorgefahr.

von Markus Denz

In der syrischen Provinz Deir ez-Zor an der Grenze zum Irak brodelt es wieder. Eigentlich galt die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) bereits als besiegt. Noch vor einigen Jahren beherrschte sie ganze Landstriche in Syrien und im Irak – mittlerweile haben sich die restlichen Kämpfer in Höhlen und Verstecke zurückgezogen, von wo aus sie sich reorganisieren. Anstatt in große Schlachten zu ziehen, verüben die IS-Kämpfer dort wieder Bombenanschläge auf zivile Einrichtungen und Passagierbusse. Seit Dezember 2020 hat der IS acht Anschläge in Deir ez-Zor verübt. Es wird davon ausgegangen, daß die Kämpfer des IS damit wieder eine größere Operation vorbereiten, die auf Territorialgewinne abzielen könnten.

Für das Wiedererstarken des IS in der Provinz Deir ez-Zor, aber auch in anderen Gegenden Syriens gibt es vor allem zwei Erklärungen. Einerseits gibt es Gerüchte darüber, dass die russische Militärfirma „Wagner“ sich aus dem Gebiet zurückgezogen hat, um in anderen Regionen Syriens zu operieren. Die Wagner-Kämpfer waren diejenigen, die den Kampf gegen Terroristen in verschiedenen Regionen Syriens erfolgreich durchgeführt haben. Die Wagner-Gruppe hat Palmyra zweimal vom IS befreit. Die Gruppe beteiligte sich auch an der Säuberung von Latakia und den östlichen und zentralen Regionen von Aleppo, der zweitgrößten Stadt Syriens, von Terroreinheiten. Die russische Militärfirma spielte somit auch eine entscheidende Rolle bei der Befreiung der Provinz Deir ez-Zor im Jahr 2017. Syrische Quellen behaupten nun, dass der Abzug der Russen katastrophale Folgen für die Region haben könnte.

Ein weiterer wichtiger Faktor war die große Militäroperation der Türkei in Nordsyrien. Mit der Invasion zogen sich viele IS-Mitglieder in die Gebiete unter türkischer Kontrolle zurück. Viele von ihnen sind mit Hilfe der Türkei aus den Internierungslagern und Gefängnissen in Nordsyrien ausgebrochen. Es ist in Syrien ein offenes Geheimnis, dass sich IS-Kämpfer in Territorien unter türkischer Kontrolle frei bewegen und reorganisieren können – auch, wenn Ankara das stets dementiert.

Gleichzeitig scheint sich die Krise in Libyen zu verschärfen. Dort herrscht zwar seit Mitte letzten Jahres ein Waffenstillstand zwischen den beiden Hauptgegnern im Bürgerkrieg, der international anerkannten „Regierung der nationalen Übereinkunft“ (GNA) in Tripolis unter Machthaber Fayiz as-Sarradsch und der Libyschen Nationalarmee (LNA) unter ihrem Kommandeur, General Khalifa Haftar.

Doch ein sich abzeichnender Führungsstreit innerhalb der GNA könnte bedeuten, dass der Waffenstillstand nur die Ruhe vor dem nächsten Sturm ist. Sarradsch kündigte bereits vor Monaten an, er wolle seine Position räumen. Einer, der sich berufen fühlt, ist GNA-Innenminister Fathi Baschaga. Er gilt als Kriegsverbrecher, Warlord und Schleuser. Dazu gibt es Foltervorwürfe gegen Baschaga. Ihm untersteht zudem eine Miliz – „RADA“ – die dafür bekannt ist, vor allem aus Salafisten zu bestehen und er macht keinen Hehl aus seiner Nähe zur radikal-islamischen Muslimbruderschaft. Baschaga gilt als enger Freund der US-Diplomatin Stephanie Williams – pikanterweise bis Januar 2021 Chefin der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Libyen. Gleichzeitig gilt Baschaga auch als Verbündeter Ankaras.

Baschagas Gegenspieler innerhalb der GNA ist Ahmed Miitig, ein als moderat geltender Geschäftsmann und Politiker. Im Gegensatz zu Baschaga gilt Miitig als gewiefter Verhandler und Wirtschaftsspezialist – und als absoluter Souveränist, der sich gegen jegliche ausländische Bevormundung seines Landes verwahrt, sei es durch die Türkei oder die USA. Doch Baschagas mächtige Verbündete wollen Miitig um jeden Preis verhindern.

In Genf tagt derzeit das sogenannte „Libysche Politische Dialogforum“ (LPDF) unter Schirmherrschaft der UN. Zuvor tagte es bereits im November letzten Jahres in der tunesischen Hauptstadt Tunis. Das LPDF will das Land unter eine einzige Übergangsregierung bringen und Wahlen für den Dezember dieses Jahres vorbereiten. Doch auch hier scheint die Rechnung ohne das libysche Volk gemacht zu werden. Denn das – so eine Meinungsumfrage der russischen Stiftung zum Schutz der Nationalen Werte – hat kein Vertrauen in das LPDF: Zu groß sei der Einfluss radikaler Muslimbrüder, zu intransparent das ganze UN-Spektakel. Und wieder mischen Baschagas Handlanger auch hier mit und versuchen, den GNA-Innenminister zu unterstützen. Dass das LPDF wirklich das Land in Richtung Frieden und Aufschwung bringt, ist angesichts des fehlenden Vertrauens in das Forum eher unwahrscheinlich.

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Sowohl in Syrien als auch in Libyen ist der Einfluss der Türkei spürbar. In beiden Ländern ist Ankara militärisch aktiv, in Libyen kämpfen heute auf Seite der GNA zahlreiche syrische Islamisten, die die Türkei aus der syrischen Provinz Idlib nach Tripolis verschifft hat.

Während die sogenannte „Balkanroute“ für illegale Migration über Syrien verläuft, gilt Libyen als Startpunkt für die illegale Bootsmigration über das Mittelmeer. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan scheint die volle Kontrolle über beide Migrationswege anzustreben. Dies eröffnet ihm ganz neue Erpressungsmöglichkeiten gegenüber Brüssel. Und eines sollte nicht vergessen werden: Sowohl die Balkan- als auch die Mittelmeerroute wird nicht nur von Wirtschaftsmigranten und Glücksrittern benutzt – sondern auch von Terroristen, die sich in die Migrantenströme mischen.

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