Brexit wurde geliefert
Boris Johnson hat nicht nur den Brexit geliefert, sondern auch ein post-Brexit-Abkommen mit der EU. Manch eingefleischte Brexiteers hätten ein No-Deal-Szenario nach WTO-Bestimmungen vorgezogen, und in der Tat hat das Handels- und Kooperationsabkommen (TCA) aus britischer Sicht auch seine Schwächen, nichtsdestotrotz ist es mehr Brexit als nur Brino (Brexit in name only). Zumindest stellt es eine gangbare Ausgangslage für eine souveräne zukünftige Entwicklung dar.
Sascha A. Roßmüller
Das Abkommen wahrt zumindest in einem Ausmaß die britische Souveränität, die den Juristen der European Research Group – die im britischen Unterhaus als die stärksten Brexit-Verfechter gelten – eine Zustimmung ermöglichte. Nicht weniger als für Großbritannien ist diese Entwicklung für die EU-Skeptiker anderer Mitgliedsstaaten interessant, zeigt das Beispiel des Vereinigten Königreichs doch auf, dass Brüsseler Untergangsprognosen und Proklamationen der Alternativlosigkeit im Zusammenhang mit dem EU-Fremdbestimmungsapparat häufig die Realität verfehlen. Ebenso wenig wie seinerzeit der Finanzplatz London an Gewicht verlor, weil man nicht der Eurozone beitrat oder die britische Wirtschaft in sich zusammenbrach, weil das Referendum für den Brexit votierte, ebenso wenig bedurfte es der Zeitspanne eines Jahrzehnts, um ein post-Brexit-Freihandelsabkommen auszuhandeln.

Internationales Abkommen und nicht EU-Vertrag
Das Abkommen ist ein Kompromiss, was sich auch daran zeigte, dass jede Partei bei der Präsentierung, dasjenige hervorhob, was sie sich aus ihrer Perspektive als Erfolg zuschrieb. Entscheidend aber ist – ungeachtet vorhandener Schwächen im Vertrag – dass es ein internationales Abkommen und kein EU-Vertragswerk ist. Boris Johnson erhielt in weiten Bereichen das von ihm favorisierte „Kanada-plus“. Was seiner Vorgängerin Theresa May misslang, gelang Johnson, nämlich den gemeinsamen Markt und die Zollunion zu verlassen. Brüssel fürchtete ein No Deal-Szenario offenbar doch weit mehr als die EU-Kommission zuzugeben bereit ist, was vermuten lässt, dass die EU vielleicht doch mehr auf manche Mitgliedstaaten angewiesen ist als diese auf die EU.
Die britische Gesetzgebung wird künftig beim britischen Parlament liegen und von britischen Gerichten ausgelegt werden, ohne dass der Europäische Gerichtshof mitzureden hat. Die wiedererlangte wirtschaftspolitische Unabhängigkeit ermöglicht Downing Street seine Pläne von Industriezonen und Freihäfen umzusetzen. Grundsätzlich ist Großbritannien auch wieder ein eigenständiges Vergaberecht möglich. Unabhängig wie man dem Freihandel gegenübersteht bzw. unter welchen Rahmenbedingungen, sieht das Handelsabkommen keine Handelszölle und -quoten vor. Ein punktebasiertes Einwanderungssystem soll bereits ab 01. Januar 2021 in Kraft treten. Mit 58 Nationen hat die britische Regierung bereits Freihandelsbeziehungen geplant.

Vertragsdefizite
Die Übergangsphase von fünfeinhalb Jahren und die Regelung der Fangmengen in der Fischerei dürften für die strammen Brexit-Wähler der britischen Fischereiwirtschaft – auch wenn Brüssel noch mehr forderte – als empfindliche Niederlage verurteilt werden. Auch die 25 Milliarden Pfund „Scheidungskosten“, die das Vereinigte Königreich noch nach Brüssel überweist, werden den Brexiteers hart aufstoßen. Ursprünglich war von 39 Milliarden die Rede.
Die Auswirkungen des Withdrawal Agreements, konkret des Nordirland-Protokolls, hinsichtlich der Kontrollen des Güterverkehrs zwischen der Hauptinsel und Nordirland führten beispielsweise dazu, dass die DUP im Unterhaus gegen das Abkommen stimmte, obgleich sie den Brexit befürwortete. Dafür, dass Großbritannien im Wesentlichen eine Dienstleistungswirtschaft ist, wurde gerade dieser Sektor im Abkommen auch sehr stiefmütterlich bedacht. Es wird sich zeigen, was Downing Street daraus macht. Viele Brexiteers wünschten, nicht zuletzt mit Blick auf die Flüchtlingskrise, einen Austritt aus der Europäischen Menschenrechtskonvention, der laut dem Abkommen jedoch nicht erfolgen wird. Die EU-Kommission macht davon die Kooperation im Bereich der Sicherheit abhängig.
Level Playing Field
Was die Frage des einheitlichen Wettbewerbsumfelds – Streitbegriff „Level Playing Field“ – betrifft, behindern die Vertragsregeln nicht grundsätzlich die souveräne Gesetzgebungskompetenz Großbritanniens, da selbst im Falle zollrechtlicher Gegenmaßnahmen seitens der EU die Briten die Möglichkeit hätten, das Abkommen mit einer Frist von 12 Monaten aufzukündigen. Entscheidend ist jedoch, dass Streitfragen bezüglich dieses Abkommens von einem Partnership Council bzw. gemeinsam bestellten unabhängigen Gremium und nicht dem EuGH entschieden werden. Souveränisten, die in nächster Zeit das Abkommen nach seinen Schwächen abklopfen, sollten darüber allerdings nicht vergessen, dass letztendlich Großbritannien dadurch sich vergleichbar zu allen EU-Mitgliedstaaten deutlich freigeschwommen hat.

EU nicht alternativlos
Erinnert man sich an die Unnachgiebigkeit der EU gegenüber Johnsons Vorgängerin, ist ersichtlich, wie sehr Brüssel den harten Brexit fürchtete, zu dem das Kabinett Johnson bereit gewesen wäre. Mit dem Beispiel Großbritanniens hat die reformunfähige EU nun ihre Deutungshoheit in Sachen vermeintlicher Alternativlosigkeit verloren und wird weit mehr als bisher darauf angewiesen sein, zu überzeugen anstatt nur anzuweisen. Insofern ist aus gesamteuropäischer Sicht der Abschluss dieses Brexit nicht das Ende, sondern vielleicht erst der Anfang eines Prozesses.
Laut einer Euronews-Umfrage sprechen sich in Italien 45 Prozent der Befragten im Falle eines erfolgreichen Brexit für ein Verlassen der EU aus, gefolgt von 38 Prozent in Frankreich, 37 Prozent in Spanien und 30 Prozent in Deutschland. Das Brüsseler Imperium ist ein Riese auf tönernen Beinen. Nicht völlig zu Unrecht bezeichnete Marine Le Pen die EU als Totengräber der Unabhängigkeit und Identität der europäischen Nationen sowie Henker der öffentlichen Versorgungsbetriebe im Namen eines Kults der Rentabilität und des freien Wettbewerbs – beides Todfeinde des öffentlichen Interesses. Fest steht: Das Ende der Geschichte ist noch nicht gekommen!
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Eine Antwort
Das Thema Dexit würde den Bonzen in Brüssel nicht behagen; denn dann wäre der Zahlesel BRD futsch.