Worum geht’s nochmal im syrischen Bürgerkrieg?

Während in Berlin über ein Ende des Bürgerkriegs in Libyen verhandelt wird, gerät Syrien mehr und mehr in Vergessenheit. Zeit, sich noch einmal vor Augen zu führen, warum dort ein Bürgerkrieg ausbrach und eine Friedensordnung immer noch nicht gefunden wurde. Die Antwort darauf liegt in der politischen Tabu-Zone, vor allem in Deutschland.

Gastbeitrag von Sascha von Aichfriede

Bundesaußenminister Heiko Maas hat zur Zweiten Berliner Libyen-Konferenz geladen, viele Staaten sind am 23.06.2021 gekommen. Libyen ist für Deutschland wichtig, denn will man die Flüchtlingsströme nach Europa kontrollieren, braucht es Stabilität in diesem nordafrikanischen Land. Diese Stabilität gewährte einst Muammar al-Gaddafi, aber der Westen ließ ihn fallen. Gaddafis Warnung aus dem Jahr 2011, dass sein Fall Chaos und Massenmigration Richtung Europa bedeuten würde, bewahrheitete sich jedoch1. Nun ist Deutschland bemüht, den Schaden zu begrenzen, den die politische Pfuscherei des Westens angerichtet hat.

Dabei gerät ein anderer, ähnlicher Konflikt schon fast in Vergessenheit: Was ist eigentlich aus Syrien geworden? Während Heiko Maas (der SchlAMaZ2) im Falle Libyens mit entschiedenen Worten den politischen Zwergenaufstand probt, bleibt er zu Syrien auffällig stumm. Wie wäre es beispielsweise mit einer Friedenskonferenz für Syrien3? Zeit, sich noch einmal zu vergegenwärtigen, warum in Syrien immer noch keine Friedensordnung gefunden wurde.

„Flüchtlinge“ in Aktion (Magdeburg 2017)

Was dem unbedarften Otto-Normal-Deutschen über den syrischen Bürgerkrieg von Anfang an erzählt wurde, ist die Märchengeschichte von einem bösen, hitlerähnlichen (das wirkt immer) Diktator Assad, der seine Leute (vor allem Kinder natürlich) vergast4 und eine legitime, demokratische Opposition unterdrückt, weswegen der Westen dieser demokratischen Opposition helfen muss – zur Not militärisch. Märchen, weil nicht faktisch und historisch korrekt, und weil Märchen immer eine Moral verkünden, nämlich die von Gut und Böse, Richtig und Falsch: Gut ist der Westen, böse Assad, und was der Westen macht ist richtig, was Assad macht ist falsch. Also: ein Märchen.

Was aber in Syrien seit über zehn Jahren tatsächlich passiert, ist ein von den USA und seinen Koalitionären – den „Freunden Syriens“5 (was für ein Zynismus) – entfachtes Regime-Change-Manöver6, um genau einem Land einen Gefallen zu tun: Israel. Und warum? Der Iran droht sich in Syrien breitzumachen, das Land im Mittleren Osten, welches seine Todfeindschaft mit Israel ernst meint und – das ist der eigentliche Punkt – eine nennenswerte militärische Schlagkraft aufweist. Die Verbindung zwischen dem Iran und der Assad-Familie, die Syrien seit Jahrzehnten regiert, ist ambivalent. Die Assads gehören der alawitischen Glaubensrichtung an, einer religiösen Minderheit in Syrien, die der schiitischen Ausrichtung des Islams nahesteht; und die Hauptmacht der Schia ist der Iran. Dies verbindet. Mit ihrem arabischen Sozialismus, dem Baathismus, hat die von den Assads geführte Baath-Partei in Syrien aber einen eher laizistisch geprägten Staat aufgebaut, der den Zielen des Islamischen Staats oder Al-Qaida feindlich gegenübersteht und auch mit dem Mullah-Regime des Iran wenig gemein hat.

Apokalypse und Propaganda; Bild von abdulrhman almasri auf Pixabay

Eigentlich wäre ein Baath-geführtes Syrien aufgrund seiner antiislamistischen Orientierung ein natürlicher Verbündeter des Westens – wäre da nicht die Sache mit Israel. Eine Freundschaft mit Israel, ob mit oder ohne Assad, ist oder war für den durchschnittlichen Syrer bisher kein Thema. Israel wird als eine imperialistische Macht verstanden, die Araber unterdrückt – außerdem hält Israel immer noch syrisches Territorium besetzt, die Golanhöhen. Und im Norden liegt die Türkei, die als nicht weniger imperialistisch wahrgenommen wird, nicht nur wegen der osmanischen Vergangenheit, sondern auch wegen türkischer Projekte den Euphrat und Tigris betreffend, die einen Wasserkrieg in der Region auslösen könnten. Ein weiterer starker Partner gegen Israel und die Türken hätte Saudi-Arabien sein können, aber die lehnen den Baathismus und Schiismus der Assads ab. Und wer bleibt da übrig? Richtig, der Iran. Für diesen ist Syrien, strategisch betrachtet, ein Aufmarschgebiet in einem möglichen Krieg mit Israel, mindestens aber Operationsplattform für Aktionen in Israel oder dem Libanon.

Zu diesem Ergebnis kamen auch die Analysen der Israelis und der Amerikaner und entsprechend heißt es in einer von Wikileaks veröffentlichten Nachricht des US-Außenministeriums (übersetzt aus dem Englischen): „Assad zu stürzen würde nicht nur Israels Sicherheit massiv stärken, sondern auch Israels verständliche Sorgen beruhigen, sein nukleares Monopol zu verlieren.“7 In diesem Dokument, das von Hillary Clintons privatem E-Mail-Konto stammt, kommen die kriegerischen Absichten klar zum Ausdruck (übersetzt aus dem Englischen):

„Die Bewaffnung der syrischen Rebellen und die Nutzung westlicher Luftüberlegenheit, um die syrische Luftwaffe am Boden zu halten, ist ein günstiger Ansatz mit hohem Nutzen. Der Sieg wird vielleicht nicht schnell oder einfach kommen, aber er wird kommen. Und der Nutzen wird groß sein.”

Das drückt nicht nur eine kriegerische Absicht aus, sondern auch die Bereitschaft, Syrien in einem längerfristigen Bürgerkrieg mit entsprechenden Opferzahlen zu halten. Und diesen bereiteten die USA gezielt vor: mindestens seit 2006 operiert die CIA in dem Land mit entsprechender Zielstellung8.

Wo die Amerikaner überall manipulieren und zündeln – aber beleidigt sind sie, wenn es andere bei ihnen machen

Wegen dieser geopolitischen Zündelei – um Israel zu helfen –, sind Hunderttausende gestorben und Millionen auf der Flucht. Mit der Auslösung der Flucht und der Verteilung syrischer Flüchtlinge über die ganze Welt, verfolgen die USA drei Absichten: zunächst soll keine dritte Macht durch Flüchtlinge so belastet werden, dass es den amerikanischen Plan eines langfristigen Bürgerkriegs durchkreuzt (die Türkei zum Beispiel); zweitens schwächt und destabilisiert die Entvölkerung Syriens das Assad-Regime; drittens, aber eher als Nebeneffekt, wird auch die mit Flüchtlingen geflutete Europäische Union geschwächt9, denn eine starke EU wollen die USA auch nicht10 – tatsächlich wurde der Umgang mit den Flüchtlingen zum Zankapfel innerhalb der EU. Das Flüchtlingsregime ist also ein integraler Bestandteil dieser amerikanischen Strategie und deswegen sind alle Willkommenskulturisten, Flüchtlingshelfer und Pro-Bono-Schlepper nichts anderes als die nützlichen Idioten in diesem miesen Spiel.

Nun mögen manche sagen, dass es legitim sei, dass der Westen das Bündnis Assad/Iran angreift, denn Israel wird ja bedroht. Verständlich ist das Agieren des Westens und Israels schon, aber ist die Wahl der Mittel richtig? Ist es richtig, ein Land deswegen in einen Bürgerkrieg zu stürzen und massenhaft Tod und Vertreibung auszulösen? Ist es richtig, zu diesem Zweck mit undurchsichtigen Rebellengruppen zu paktieren, diese mit Waffen und Geld ausstattet, wie der israelische General Eisenkot Anfang 2019 zugab11, und dadurch den Bürgerkrieg zu verlängern? Dies können nur rhetorische Fragen sein. Selbst unsere Amerika-hörige „Mutti“ ließ sich angesichts der Flüchtlingsmassen, der vielen Toten und der zerstörten Infrastrukturen, zu einer leisen Kritik hinreißen: laut Reuters-Nachricht12 kritisierte sie in einer Fraktionssitzung die Syrien-Politik des Westens und den Regime-Change-Ansatz als solches, macht aber weiter mit, denn Uncle Sam duldet keinen Widerspruch von seinen Hilfsvölkern.

Der Westen hat Schuld13. Er hat in Syrien eine Opposition angefüttert, Chaos gestiftet, Extremisten bewaffnet14 und hält bis heute einen Kriegszustand aufrecht. Der Sturz Assads wäre auch beinahe geglückt, hätte Russland nicht eingegriffen. Wer die Schuldigen für Vertreibung, Tod und Zerstörung sucht, sollte aber nicht nach Moskau oder Damaskus blicken, sondern nach Jerusalem, Washington, Berlin, London und Paris. Das Feuer in Syrien wurde von dort gelegt. Es brennt immer noch, da ein Rückzug des Westens Syrien dem Iran überlassen würde. Und das wäre eine Bedrohung für Israel, die dessen westliche Schutzmächte nicht zulassen können. Dieser Zustand wird wohl noch lange anhalten.

***


1  https://www.nachrichten.at/politik/aussenpolitik/Gaddafi-warnt-Wenn-ich-stuerze-drohen-Massenflucht-und-Chaos;art391,568441 (Aufruf: 23.06.2021).

2  Schlechtester Außenminister aller Zeiten.

3  https://www.dw.com/de/maas-fordert-abzug-ausl%C3%A4ndischer-k%C3%A4mpfer-aus-libyen/a-58009133 (Aufruf: 23.06.2021).

4  https://apnews.com/article/chemical-weapons-syria-archive-aleppo-04f6a88cb89098925d5ca2ee2d09d74b (Aufruf: 26.02.2021).

5  https://ga.de/news/politik/die-freunde-syriens-im-weltsaal_aid-41052801 (Aufruf: 23.06.2021). Auch die BRD gehört zu diesen „Freunden“ Syriens.

6  Wer auf unterhaltsame Weise mehr darüber erfahren will, dem sei die ZDF-Sendung Die Anstalt vom 20.10.2015 empfohlen. Sh. auch: https://www.claus-von-wagner.de/tv/anstalt/20151020-konflikte-im-nahen-und-mittleren-osten (Aufruf: 23.06.2021). Unter den Koalitionären befinden sich auch arabische Staaten, denen man nicht zutrauen würde, Israel einen Gefallen zu tun. Jedoch geht es diesen um etwas anderes, nämlich um den Kampf gegen die Schiiten. Hier gilt, zumindest für den Moment: der Feind meines Feindes ist mein Freund. Für sunnitische Länder, wie Saudi-Arabien, ist der Iran und der mit ihm verbündete Assad der aktuell schlimmere Feind als Israel, da das Land mit schiitischen Minderheiten zu kämpfen hat, die vom Iran unterstützt werden.

7  https://wikileaks.org/clinton-emails/emailid/18328 (Aufruf: 26.02.2021).

8  https://www.washingtonpost.com/world/us-secretly-backed-syrian-opposition-groups-cables-released-by-wikileaks-show/2011/04/14/AF1p9hwD_story.html (Aufruf: 26.02.2021).

9  Greenhill, Kelly M. (2010). Weapons of Mass Migration: Forced Displacement as an Instrument of Coercion. Strategic Insights, Vol. 9, Issue 1, S. 116-159.

10  https://www.euractiv.com/section/euro-finance/opinion/a-weak-eu-is-in-america-s-interest/ (Aufruf: 26.02.2021).

11  https://www.i24news.tv/en/news/international/middle-east/193214-190115-eisenkot-admits-israel-supplied-weapons-to-syrian-rebels-report (Aufruf: 26.02.2021).

12  https://www.reuters.com/article/t-rkei-syrien-idDEKBN20Q25M (Aufruf: 26.02.2021).

13  https://www.faz.net/-gsf-7bxsa (Aufruf: 26.02.2021).

14  https://www.zeit.de/politik/ausland/2013-09/usa-waffenlieferung-syrische-opposition (Aufruf: 26.02.2021).

Weiterführende Informationen:

Wer verhindert die Rückkehr von Flüchtlingen aus Europa nach Syrien?

Türkei marschiert in Syrien ein

Sollten die Luftschläge gegen Syrien Giftgas-Untersuchungen behindern?

Ohne wirksame Innenpolitik wird der Syrien-Einsatz zum Bumerang

Mehr lesen

BRD aktuell: Messerangriff in Heilbronn

Am Donnerstagmorgen, dem 6. Februar 2025, wurde ein 40-Jähriger in der St.-Gundekar-Straße in Heilbronn gegen 08:45 Uhr mit einem Messer angegriffen. Die

Friedrich, der Merzgefallene

Friedrich Merz … entweder er ist auf dem Weg, ein noch schlechterer Bundeskanzler zu werden als Olaf Scholz, oder er ist genial