»Ein hochpolitischer dystopischer Roman«, Buchbesprechung von Sascha A. Roßmüller zu Andreas Bertrams Roman Ein Volk im Teufelskreis
Der dystopische Roman von Andreas Bertram spielt wesentlich in Berlin, führt jedoch an verschiedene Schauplätze in aller Welt. Die Handlung weist einen unverkennbaren Gegenwartsbezug auf und kreist um eine derartige Fülle heutzutage umstrittener und polarisierender politischer Aspekte, dass es dem Autor, auch auf die Gefahr in Inhalt und Botschaft überladen zu werden, als Leistung anzurechnen ist, dies überhaupt auf 344 Seiten verarbeiten zu können.
Sascha A. Roßmüller
Von den neuartigen mRNA-Impfstoffen und den damit verbundenen Maßnahmen, über Globalisierung, eskalierende geopolitische Spannungen sowie die Gender-Entwicklung und Transhumanismus bis hin zur Einwanderungsfrage kreist die Handlung des Romans. Da – wenngleich auch kein Wilhelm Meister – anhand der Entwicklung des Romanhelden Frank von einer Art Entwicklungsroman mit Elementen des Bildungsromans gesprochen werden kann, wählte der Autor wohl die auktoriale Erzählweise, um aus der allwissenden Perspektive möglichst viel Informationsgehalt zu entwickeln. Da der Autor hinsichtlich der polarisierenden Konflikte, die in der Romanhandlung bearbeitet werden, auf eine eindeutige Positionierung hinschreibt, ist der Handlungsverlauf des Romans dahingehend früh durchschaubar, dass wenig für den Leser unerwartete Überraschungen vorkommen, ohne jedoch das konkrete Geschehen vorhersehen zu können. Diese Positionierung dürfte auch die Leserzielgruppe auf diejenigen einschränken, die nicht mediendressiert den etablierten Mainstream-Narrativen beipflichten, zumal der Roman sich nicht scheut, so manche als verschwörungstheoretisch diffamierte Kritik stereotyp fortzuschreiben. Allerdings tritt dadurch die vom Autor intendierte Kritik konturierter zum Vorschein, und schließlich handelt es sich letztendlich um einen fiktionalen Roman, nicht um ein Sachbuch. Es ist auch kein Drama, weshalb retardierende Momente für in Katharsis endende Spannungsbögen nicht vonnöten sind, wo es mehr um die dargestellten Charaktere als die Art des Handlungsverlaufs geht.
Dezidiert nicht Zeitgeist-konform
Charaktere, die sich durch Standhaftigkeit auszeichnen, wenn ein medial induzierter Lynchmob vormals als minderbemittelt Angesehener kulturbolschewistisch über jene herfällt, die intelligenter sind. Für all jene, die zeitgenössische Literatur genießen – nicht wissenschaftlich verdauen – wollen, die dennoch nicht trivial ist, und dezidiert keinen Zeitgeist atmet, ist dieser Roman genau das Richtige. Der Roman ist durchgehend sprachlich wohlformuliert und birgt so manch tiefsinnige Gedanken, wie sie beispielsweise in der Nebenerzählung eines Dialogs zwischen den Figuren Satan und Denker aufgeworfen werden. Exemplarisch hierfür mag die Betrachtung der Hoffnung im Zusammenhang mit der Büchse der Pandora stehen. Ist Hoffnung positiv oder eben nicht, da falsche Hoffnung? Wer öffnet die Büchse und kann diese dadurch auch missbrauchen? Wie die Romanhandlung, deren zahlreiche Ähnlichkeiten mit der tatsächlichen Gegenwartssituation kein Zufall sind, endet, möge herauszufinden dem geneigten Leser überlassen werden. In dem Roman von Andreas Bertram verdichten sich Verschwörungstheorien, die zuletzt beklemmend an Realitätsbezug gewonnen hatten, zu einer in sich schlüssigen Handlung.