Will man Euro-Gruppen-Chef Mario Centeno Glauben schenken – und tut man es, ist man selber schuld -, dann ist Griechenland plötzlich in der Lage, finanziell ohne weitere Hilfsprogramme auf eigenen Beinen zu stehen. Seit 2010 hatte die Europäische Union – genau genommen die Nettozahler unter den Mitgliedsstaaten – und teilweise der Internationale Währungsfonds das überschuldete Euro-Land neben diversen Zwangsmaßnahmen – darunter die Privatisierung bedeutender Infrastruktur – mit insgesamt 289 Milliarden Euro an vergünstigten Krediten vor der Staatspleite bewahrt. Der 20. August 2018 markiert das Auslaufen des dritten griechischen Hilfsprogramms mit einem Gesamtvolumen von 86 Milliarden Euro, und das Politestablishment gaukelt sich und der Bevölkerung die erfolgreiche Rettung Griechenlands vor. Ungeachtet dessen, daß selbst der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis mit den deutlichen Worten widerspricht: „Griechenland steht am selben Punkt, im gleichen schwarzen Loch und es versinkt jeden Tag tiefer darin.“ Der Staat sei noch immer pleite, die privaten Leute seien ärmer geworden, Firmen gingen noch immer bankrott und das Bruttosozialprodukt sei um 25 Prozent gesunken, begründet Varoufakis seine Feststellung. Und BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang machte darauf aufmerksam, die griechische Regierung müsse sich nun gezielt den Defiziten in Verwaltung, Justiz, den Arbeits- und Produktmärkten widmen. Doch hätte sie das nicht längst sollen?
Vielmehr scheinen die Mainstream-Fake-News über die griechischen Fortschritte ein ebensolches Schwindelprodukt zu sein, wie seinerzeit der Beitritt Griechenlands in die Euro-Zone auf Basis manipulierter Wirtschaftsdaten. Zur Seite stand damals maßgeblich die US-Investmentbank Goldman Sachs, dessen Vizepräsident zu dieser Zeit der heutige EZB-Präsident Mario Draghi war. Ein Schelm, wer übles dabei denkt! Die kritischen Buchautoren Matthias Weik und Marc Friedrich machen darauf aufmerksam, daß der ehemalige Bundesfinanzminister und aktuelle Präsident des Deutschen Bundestages Wolfgang Schäuble die Griechenland-Hilfen nur mit dem Versprechen durch den Bundestag gebracht hatte, daß der IWF sich auch wieder bei dem eben ausgelaufenen dritten Hilfspaket finanziell beteiligen würde. Dies war ebenso gelogen, wie Schäubles im Jahr 2012 getätigte Versprechen, daß es nicht einmal ein zweites Rettungspaket für Griechenland geben würde, geschweige denn das nun ausgelaufene dritte. Der Beginn der Schuldenrückzahlung aus dem zweiten Rettungspaket, das es laut Schäuble angeblich nie geben hätte sollen, wäre ursprünglich für 2023 vorgesehen gewesen. Inzwischen jedoch soll die erste Rate erst im Jahr 2033 fließen. Selbst wenn Griechenland tatsächlich zurückzahlen sollte, ist aus Sicht der Gläubiger, darunter Deutschland, bis dahin an der Kaufkraft gemessen eine inflationäre Entwertung des Kredits erfolgt.
Und betrachtet man die volkswirtschaftliche Situation in Griechenland, wie sie die beiden vorab genannten Wirtschaftsautoren recherchiert haben, möchte man fast darauf wetten, es wird in nicht allzu ferner Zukunft sogar noch ein viertes Rettungspaket geben. Demnach sind 48,5 Prozent aller Kredite notleidend, sprich sogenannte Non Performing Loans (NPL). Im Vergleich hierzu trifft dies in Deutschland gerade einmal auf 2,5 Prozent der Kredite zu. 21 Prozent der Griechen – darunter 45,4 Prozent der Jugendlichen – sind arbeitslos, und die Einkommen derer, die noch Arbeit haben, sanken auf das Niveau von 2003. Und ca. 300 000 berufsqualifizierte Kräfte haben im Zuge der Krisenjahre basierend auf der EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit Griechenland verlassen, was für den Wiederaufbau der griechischen Wirtschaft einen schwerwiegenden Verlust darstellen wird. Mit einer Staatsverschuldung von etwa 330 Milliarden Euro weist Griechenland eine Verschuldungsquote von fast 180 Prozent auf und liegt heute – wo es angeblich wieder auf eigenen Beinen stehen können soll – deutlich höher als im Jahr vor den ersten Rettungsmaßnahmen mit 129,7 Prozent in 2009. Die Industrieproduktion ist gemessen am Höchstwert des vergangenen Jahres um 24 Prozent eingebrochen und befindet sich heute auf dem Niveau von 1994.
Fest steht: So wenig wie die EU-Mitgliedsstaaten finanziell ein griechisches Fass ohne Boden brauchen, so wenig kann die griechische Schuldenkrise mit noch mehr Schulden bekämpft werden, auch wenn man diese Neuverschuldung Rettungspakete nennt – es bleiben Schulden! Was Griechenland braucht, ist eine währungspolitische Abwertung zur Wiederherstellung seiner wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit, d.h. es braucht seine Nationalwährung, die griechische Drachme, und nicht den Euro, sowie es die Rückkehr seiner abgewanderten Fachkräfte braucht und nicht den europäischen Wettbewerb um seine besten Leute!
Sascha A. Roßmüller