Edgar Julius Jung und sein Kampf für eine neue Ordnung
Für den Philosophen Leopold Ziegler war sein Freund Edgar Julius Jung »der entschiedenste, konsequenteste, mutigste und klügste Gegner Hitlers«. Seine unbeugsame Haltung bezahlte der Rechtsintellektuelle und vormalige Kriegsfreiwillige und Freikorps-Kämpfer schon kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten mit seinem Leben. Im Gegensatz zu anderen, deren Widerstandsgeist sich erst im Angesicht der drohenden militärischen Niederlage regte, ist Jung jedoch aus dem öffentlichen Bewußtsein der Bundesrepublik verschwunden. Dies dürfte vor allem daran liegen, daß er ein entschiedener Gegner des Parlamentarismus war, der auch mit der deutschen Nachkriegsordnung niemals seinen Frieden gemacht hätte.
Thorsten Thomsen
In einer neuen wissenschaftlichen, aber alles andere als trockenen Abhandlung, die unter dem Titel Edgar* J.* Jung*. Zur* politischen* Biographie* eines* konservativen* Revolutionärs* als Band 3 der Reihe „Erträge“ der Berliner Bibliothek des Konservatismus erschienen ist, widmet sich der Historiker Karlheinz Weißmann der Lebensgeschichte und dem schriftstellerischen Werk des 1894 in Ludwigshafen am Rhein geborenen Rechtsintellektuellen, dessen Leitmotiv eine resolute, aber wohlbegründete Gegnerschaft zu jenen Ideologien war, die im Zuge der Französischen Revolution von 1789 ihren Siegeszug in der westlichen Welt antraten. Jung lehnte Liberalismus und Sozialismus (als konstitutive Grundlagen des Staates) gleichermaßen ab, plädierte für einen hierarchisch-organischen Staatsaufbau und trat für eine Wiederbelebung der ghibellinischen Reichsidee in der Tradition des Stauferkaisers Friedrich II. ein.
Von Hause aus war Jung eigentlich Jurist. Er begann 1913 ein Studium der Rechte in Lausanne, kehrte jedoch im Jahr darauf nach Deutschland zurück und meldete sich als Freiwilliger bei der Reichswehr. Am Ersten Weltkrieg nahm er unter anderem als Kampfflieger an der Westfront teil. Später schloß sich der Reserveleutnant dem Freikorps Epp an und beteiligte sich 1919 an der Niederschlagung der Münchner Räterepublik. Im Jahr 1922 schloß Jung sein Jurastudium mit dem zweiten Staatsexamen ab. Ein Jahr später gründete er einen illegalen Kampfbund, der gewaltsam gegen pfälzische Separatisten vorging, die mit der französischen Besatzungsmacht kollaborierten. Höhepunkt dieser Aktionen war ein Anschlag auf den Separatistenführer und Präsidenten der »Autonomen Pfalz«, Franz Josef Heinz. Am Abend des 9. Januar 1924 stürmten unter Jungs Kommando rund 20 Männer den Speisesaal des »Wittelsbacher Hofs« in Speyer und erschossen Heinz sowie seine engsten Mitarbeiter. Jung selbst wurde bei dem Schußwechsel leicht verletzt und floh aus der Pfalz nach München.
»Herrschaft der Minderwertigen«
Seine politische Philosophie legte Jung 1927 in seinem Grundlagenwerk Die* Herrschaft* der* Minderwertigen* dar. Als »minderwertig« betrachtete er die materialistischen Kräfte des Westens, die mit ihrer Gleichheitsideologie und anonymen Parteienherrschaft zur Entwurzelung der Menschen und zur Auflösung traditioneller Bindungen an Familie, Volk und Staat beitrugen. Diesem »Barbarentum«, wie Jung es nannte, stellte er seine »Richtlinien zur inneren und äußeren Erneuerung des deutschen Volkes und deutschen Staates« entgegen, die unter anderem eine ständisch-organische Ordnung und kleinräumige Verwaltung des föderal gegliederten Reiches vorsah.
Ein abgestuftes Familienwahlrecht sollte das Gleichheitswahlrecht ersetzen. Reichstag und Staatsoberhaupt sollten weiterhin direkt gewählt werden, ihnen sollte jedoch ein Reichsrat als ständestaatliches Element zur Seite gestellt werden. Eine Privatwirtschaft mit ausgeprägten sozialen Elementen und eine Rückkehr zu christlichen Grundlagen waren weitere Punkte seines politischen Programms. Im Jahr 1930 erschien eine grundlegend überarbeitete Version des Werkes. Von nun an stand nicht mehr die von ihm als »jakobinisch« verworfene Idee der Nation im Mittelpunkt seines Denkens, sondern das Volk bzw. die Reichsidee, wie auch Weißmann in seiner Schrift kenntnisreich darlegt.
Trotz seiner ablehnenden Haltung zur Weimarer Demokratie legte sich Jung keine realpolitische Abstinenz auf. Er avancierte nach einigen erfolglosen Versuchen, selbst die politische Arena zu betreten, zum wichtigsten politischen Berater und Redenschreiber des Zentrumspolitikers und späteren Reichskanzlers Franz von Papen. Schon früh wandte er sich dabei gegen die NSDAP, der er »undeutschen Kollektivismus«, Demagogie und eine anti-elitäre Haltung vorwarf. So nahm Jung zwar 1931 an der Tagung der nationalen Rechten in Bad Harzburg teil, wollte sich aber nicht in die »Harzburger Front« einreihen, sondern wandte sich scharf gegen eine Kooperation mit der NS-Bewegung. Auch der Eintritt von Papens als Vizekanzler in die Regierung Hitler 1933 führte bei Jung nicht zu einem Sinneswandel. Schon kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten verfaßte er seine Schrift Sinndeutung* der* deutschen* Revolution*, in der er die neuen Machthaber als geistige Epigonen der Französischen Revolution anprangerte. Mitte Juni 1934 wollte er schließlich ein publizistisches Fanal setzen und schrieb für Franz von Papen eine Rede, die ihm als Verfasser zum Verhängnis werden sollte.
Verhängnisvolle Rede
In jener »Marburger Rede«, die von Papen am 17. Juni 1934 vor Studenten in der Universitätsstadt an der Lahn hielt, bekannte sich der Jung zunächst grundsätzlich zur Überwindung des Weimarer Systems: »Fast wie ein Traum liegt es über uns, daß wir aus dem Tal der Trübsal, der Hoffnungslosigkeit, des Hasses und der Zerklüftung wieder zur Gemeinschaft der deutschen Nation zurückgefunden haben.« Dem folgte allerdings eine scharfe Kritik an der politischen Praxis im NS-Staat. Jung mahnte Pressefreiheit an und sprach den Nationalsozialisten ihre Monopolstellung ab, die mit dem Gedanken der Volksgemeinschaft nicht zu vereinbaren sei.
Die Vorherrschaft einer einzigen Partei sah Jung lediglich als Übergangszustand an. Die geschichtliche Logik verlange, daß auf den westlich-liberalen Staat in der geistigen Nachfolge von 1789 ein religiös fundierter Staat der »deutschen Gegenrevolution« folge. Die Rede schloß mit dem Appell: »Die Welt steht in gewaltigen Veränderungen, nur ein verantwortungsbewußtes zuchtvolles Volk wird führen. Wir Deutschen können uns aus Ohnmacht zu der gebührenden Stellung emporarbeiten, wenn wir Geist mit Energie, Weisheit mit Kraft, Erfahrung mit Tatwillen paaren. Die Geschichte wartet auf uns, aber nur dann, wenn wir uns ihrer als würdig erweisen.«
Die Antwort Hitlers ließ nicht lange auf sich warten. Abdruck und Verbreitung der »Marburger Rede« wurden verboten. Am 25. Juni wies Heinrich Himmler die Verhaftung Jungs an, die bereits am Abend desselben Tages erfolgte. Eine Intervention von Papens blieb ohne Erfolg. Schließlich wurde Jung aus dem Keller des Berliner Gestapo-Hauptquartiers in der Prinz-Albrecht-Straße ins Konzentrationslager Oranienburg überführt und dort in der Nacht zum 1. Juli 1934 erschossen. Die genauen Umstände seiner Ermordung liegen im Dunkeln.
Der sonst so treffsichere Panaiotis Kondylis bezeichnete Jung in seiner umfangreichen Darstellung* zur* Geschichte* des* europäischen* Konservatismus* als einen Vorläufer der »konservativen Neoliberalen«, was nur dann verständlich ist, wenn man bedenkt, daß Kondylis den Begriff des Konservatismus nur für jene gelten ließ, »die tatsächlich noch eine Möglichkeit sahen, das Ancien régime zu restaurieren und in die Welt vor der Französischen Revolution zurückzukehren«, wie Weißmann anmerkt.
Zudem war Jung bei aller Ablehnung plutokratischer Herrschaft ein strikter Verfechter freien Unternehmertums und sprach sich in Die* Herrschaft* der* Minderwertigen* für eine Reduktion des wirtschaftspolitischen Engagements des Staates und eine Senkung der Sozialleistungen bei gleichzeitiger Förderung des Privatbesitzes aus, um Persönlichkeit und Eigenverantwortlichkeit zu stärken. Doch kann man Jung deshalb einen »Liberalen« nennen? Weißmann bezweifelt dies zu recht und weist darauf hin, »daß Jung sich selbst als dezidierten Antiliberalen betrachtete« und »seine Betonung der notwendigerweise metaphysischen Bindung des einzelnen wie des Ganzen kaum mit liberalen Vorstellungen in Übereinstimmung zu bringen« sei.
Angemessene Würdigung
Im Gegensatz zu Kondylis lag Julius Evola mit seiner Einschätzung vollkommen richtig. Dieser betrachtete Jung – trotz dessen christlicher Einstellung, die der italienische Philosoph als heidnischer Traditionalist nicht teilte – als einen der wenigen Vertreter einer authentischen Rechten im 20. Jahrhundert, »einer Rechten, die sich an der ›Revolte gegen die moderne Welt‹ beteiligte, also keiner Versuchung nachgab, Konzessionen an die Ideen von 1798 wie Liberalismus oder Nationalismus zu machen«, so Weißmann. Evola und Jung traten zu Beginn der 1930er Jahre in einen intensiven Gedankenaustausch ein und schätzten sich gegenseitig. Beide teilten aber auch das Schicksal, von den politischen Praktikern als verschrobene Phantasten angesehen zu werden.
Karlheinz Weißmanns politische Biographie ist eine wichtige Ergänzung der bisher erschienenen Schriften zur Jung-Forschung, umfaßt sie neben einer Darstellung des Lebenswegs und der Kernvorstellungen Jungs doch im Anhang auch eine Reihe von beinahe verschollenen oder längst vergessenen Schlüsseltexten wie die von ihm formulierten »Volkskonservativen Grundsätze« oder einige seiner Aufsätze in der kurzlebigen Zeitschrift Die* Laterne*. Besonders hervorzuheben ist schließlich auch eine erstmals publizierte Denkschrift, die er wenige Monate vor seiner Ermordung an Franz von Papen richtete und in der er seine Vorstellungen zu einer Neuordnung Deutschlands unter den Bedingungen des NS-Regimes konkretisierte. Der Band würdigt einen der originellsten Denker der Konservativen Revolution.
Literaturhinweis: Karlheinz Weißmann: Edgar J. Jung. Zur politischen Biographie eines konservativen Revolutionärs (Erträge: Schriftenreihe der Bibliothek des Konservatismus, Bd. 3), Berlin: FKBF 2015, 150 S., brosch., € 9.95.
2 Antworten
Wir Pfälzer haben Edgar Julius Jung sehr viel zu verdanken, Er organsierte den Widerstand gegen die Separatisten, die die Pfalz vom Reich abtrennen und ganz unter französische Kontrolle bringen wollten. Wir weden ihn nicht vergessen.
Edgar Julius Jung sollte eigentlich ein Denkmal bekommen und in der Öffentlichkeit gefeiert werden. Wie viele andere Deutsche kämpfte Er nach dem 1. Weltkrieg freiwillig gegen die kommunistische Aufstände und für den Erhalt des Reiches. Zwar teile ich persönlich nicht alle Ansichten, aber er war (und wird) eine herausragende Persönlichkeit.