Der Falke hat den höchsten Punkt erklommen: In der Nacht vom 24. Auf den 25. Januar 2017 verstarb Hans-Dietrich Sander, Herausgeber der Zeitschrift Staatsbriefe, der hervorragendste Kämpfer der Gegenwart für die von ihm vertretene Reichsidee. Aus diesem Anlaß veröffentlichen wir an dieser Stelle einen Aufsatz von DS-Autor Arne Schimmer aus der Juli-Ausgabe 2016 der DEUTSCHEN STIMME mit einer Besprechung der Publikation »Der ghibellinische Kuß« – eine Sammlung der bedeutendsten Texte Sanders zur Reichsidee.
1945 lag das Deutsche Reich in Trümmern, die Deutschen hatten unermeßliche Schrecknisse durchlitten und das Land befand sich unter der totalen Verfügungsgewalt ausländischer und teilweise raumfremder Mächte. Selbst Autoren, die sich selbst einst als nationalistisch bezeichnet hatten, sprachen nun von einer »deutschen Katastrophe« (Friedrich Meinecke) oder einer »deutschen Daseinsverfehlung « (Ernst Niekisch). Die Niederlage schien auch eine Art negatives Gottesurteil über die tausendjährige deutsche Reichsgeschichte zu sein, gleichzeitig gab es nun viele Fürsprecher eines geeinten Europas, das freilich unter christdemokratischen oder liberalen Vorzeichen geeint werden sollte.
Arne Schimmer
Wenn die Reichsidee überhaupt noch anschlußfähig war, dann in ihrer neokarolingischen Variante, die durch die Achse de Gaulle–Adenauer repräsentiert wurde, bei der Europa östlich der Elbe aber abgeschrieben wurde. Die »skeptische Generation« (Helmut Schelsky) übernahm das Ruder, und mit ihr ein auf die Steigerung des Bruttosozialprodukts ausgerichteter Pragmatismus. Aber in den achtziger Jahren war die Reichsidee plötzlich wieder mit der Leichtfüßigkeit einer Katze im Raum. Die Verheerungen in den einstigen mitteleuropäischen Zentralgebieten unter der Herrschaft des realexistierenden Sozialismus und die geistige, durch Konsumexzesse kaschierte Leere im westdeutschen Trizonesien unter dem Raketenschirm waren einfach zu offensichtlich, als daß es anders hätte kommen können. Ein linker Politologe wie Claus Leggewie beklagte die »Provinzialisierung von Prag« und »den zunehmenden Verlust der gemeinsamen Geschäftsgrundlage der kulturellen Szenen in Ost- und Westeuropa« und 1986 empfahl Otto von Habsburg die Reichsidee ganz offen als Rezept gegen den Niedergang Europas.
Kein Denker unserer Gegenwart hat die Reichsidee aber tiefer erfaßt als Hans-Dietrich Sander. In seiner Zeitschrift Staatsbriefe, die in den Jahren von 1990 bis 2012 erschien, gelang Sander das Kunststück, eine hochgradig anspruchsvolle und aufregende Publikation rund um ein auf den ersten Blick so sperriges Zentralthema wie die staufische Reichsidee zu konzipieren. Die Staatsbriefe waren eine an echtem Nonkonformismus nicht mehr zu überbietende Zeitschrift, in ihr wurde eine fast schon nihilistische Form der redaktionellen Freiheit praktiziert, neben Michael Kühnen publizierten in ihr praktisch alle bedeutenden linken Dissidenten wie Günter Maschke, Reinhold Oberlercher, Peter Furth und Horst Mahler.
Ausrichtung an Friedrich II.
Die Leitfigur der Zeitschrift war jener Mann, den sie »stupor mundi« nannten, das »Staunen der Welt«, der im 13. Jahrhundert so kunstsinnig und gebildet war wie später die großen Persönlichkeiten der Renaissance, der die seit 800 Jahren verschüttete antike Welt wiederaufstehen ließ, verflucht von den Päpsten seiner Epoche und beschützt von einer sarazenischen Leibwache: Friedrich von Hohenstaufen. Wo andere Herrscher seiner Ära gerade einmal mühevoll ihren Namen kritzeln konnten, da verfaßte Friedrich II. ein Buch über die Falknerei, diskutierte mit dem Mathematiker Leonardo Fibonacci und ließ den Doktoren der Bologneser Universität ausrichten, daß er seinen Tag am liebsten in der Bibliothek verbringen würde, aber stattdessen die Welt regieren müsse.
»Die Hoffnung der Völker«
In seinem »Prolog« in der ersten Ausgabe der Staatsbriefe charakterisierte Sander ihn so: »Friedrich II., die Leitfigur dieser Zeitschrift, verkörpert den deutschen Reichsgedanken, die ghibellinische Idee, in maximaler Reinheit. Er war die Hoffnung der Völker, vor allem der Italiener, die nach ihm chaotischen Jahrhunderten entgegengingen; fünfzig Jahre nach seinem Tode lieferte Dante eine bewegende staatsphilosophische Apologie des Ghibellinentums. Friedrich II. verband Okzident und Orient. Er gab der deutschen Ostkolonisation die entscheidenden Impulse, als er Hermann von Salza mit dem Deutschen Ritterorden in das spätere Ostpreußen schickte. Der Staat, der ihm vorschwebte, sollte des Reiches Kern sein. Er schuf mit den Konstitutionen von Melfi die moderne Verwaltungskunst – das einzige, was den Deutschen nach den Niedergängen heute noch geblieben ist.« Die Staufer sind über die Jahrhunderte hinweg ein Faszinosum geblieben. Allein das Schicksal des letzten Staufers Konradin, den Karl I. von Anjou 1268 in Neapel hinrichten ließ, hat deutsche Dichter wie Friedrich Schiller, Ludwig Uhland, Conrad Ferdinand Meyer und August von Platen inspiriert. Hans-Dietrich Sander sieht in den Staufern – und insbesondere in Friedrich II. – die Erneuerer einer durch das Papsttum gefährdeten weltlichen Sakralität, die an die Stelle der päpstlichen Dogmatik geistige Weite und die Förderung von Kunst und Wissenschaften setzten.
Sander äußert dazu in seinem Aufsatz »Von der Rückbesinnung zur Mobilisierung«: »Die ursprüngliche Abhängigkeit der Guelfen (also der dynastischen Gegenpartei zu den Staufern, Anm. des Autors) vom Papsttum säkularisierte sich in der Moderne zu ideologischer Hörigkeit, die sich vornehmlich eindimensional und doktrinär artikulierte. Das Ghibellinische galt dieser engen Sicht als ebenso überholt wie heute die deutsche Geschichte bis zur Französischen Revolution.« Nach Sander erhob sich der ghibellinische Geist in Preußen wieder aufs Neue: »Mit dem Großen Kurfürsten, den der Wiener Hof als den Hunnen an der Ostsee verhöhnte, begann in der Mark Brandenburg eine ghibellinische Renaissance, die an die nordöstliche Verpflanzung des Ghibellinentums anknüpfen konnte, die mit der Entsendung des Deutschen Ritterordens durch Friedrich II. nach Pruscia einsetzte. Das Ordensland war schon verfallen, aber der Funke sprang noch aus der Asche. Mit der ghibellinischen Renaissance wurde Preußen zur Polis der Neuzeit, weil es alle ihre Probleme in der Volksbildung, in der Verwaltung, in der Wirtschaft und im Sozialgefüge mustergültig löste – als eine Symbiose von Athen und Sparta« (so Sander in seiner Thesensammlung »Der ghibellinische und der guelfische Typus in der deutschen Geschichte«). Sander ist erklärtermaßen ein großer Preußen- Verehrer, vermeidet in seiner Rezeption der Reichsidee aber die Verengung auf eine rein borrussische Sichtweise und zitiert deshalb auch einen Denker wie Constantin Frantz.
Verheerende EU-Politik
Es versteht sich von selbst, daß Sander in der EU – um mit Josef Schüsslburner zu sprechen – nur eine »Reichsersatzideologie «, aber keinen Reichsersatz sieht: »Brüssel zerstörte sukzessive die nationalen volkswirtschaftlichen Kreisläufe, indem es die Produktionsstandorte allein aufgrund von Rentabilität und Profit ohne Rücksicht auf das Gemeinwohl auswählte. Trotz aller Einbildungen und Rattenfängermelodien wurde die von der alten D-Mark gewährleistete Geldstabilität in kürzester Zeit verspielt. Mit dem Bologna-Prozess sackte das Erziehungswesen samt Volksbildung ab – von den Universitäten bis zum Handwerk…Um so drastischer fällt heute die Ernüchterung aus. Im Zuge der Euro- und Flüchtlingskrise brechen nun die künstlich unterdrückten nationalen Interessen wieder hervor, und die fast schon weggedämmerten Völker erwachen langsam wie aus einem bösen Traum. Sie fühlen sich von verantwortungslosen Politikern hinters Licht geführt. Man hatte sie mit einer Verschiebung von Bedeutungen und einem Austausch von Begriffen semantisch getäuscht und auf einen Weg gelockt, den sie gar nicht einschlagen wollten. « (aus dem Aufsatz »Europa ohne Maß und Macht«).
Die Aufsätze, aus denen hier zitiert wird, wurden nun in einer eigenen, auch optisch sehr schönen Edition, mit dem Staatsbriefe-typischen Oktagon – dem Grundriß des apulischen »Castel del Monte« – auf grauem Grund, von Heiko Luge herausgegeben und in der »Edition Arnshaugk« des Verlegers Uwe Lammla herausgebracht. Wer sich in dieses Bändchen und seine Texte versenkt, kann danach eigentlich nur dem von Thorsten Hinz in der Jungen Freiheit gefällten Urteil zustimmen: »Die besten seiner Kommentare zur politischen und geistigen Mentalität der Bundesrepublik, die er für die Zeitschrift Criticón und zwischen 1990 und 2001 für die von ihm herausgegebenen Staatsbriefe verfaßte, lassen die Aufsätze und Marginalien des Merkur-Herausgebers Karl-Heinz Bohrer als handzahme, von geschichtlicher Ahnungslosigkeit geprägte Petitessen erscheinen.«
Sanders Texte stehen tatsächlich schon jetzt in einer einzigartigen Größe inmitten der deutschen Nachkriegspublizistik, und es ist hocherfreulich, daß sie nun auch in der kompakten Version eines Buches verfügbar sind.
Literaturempfehlung: Hans-Dietrich Sander: »Der ghibellinische Kuß« (erschienen in der Reihe »Style and Order«, Gesammelte Schriften von Hans-Dietrich Sander, herausgegeben von Heiko Luge), Arnshaugk Verlag, 208 S., 22 €